60 Jahre Landessportbund Berlin

 

Am 29. Oktober 1949 wurde der Landessportbund Berlin als „Sport-Verband Groß-Berlin“ im Festsaal des alten Amerikahauses in der Kleiststraße gegründet. Im Vordergrund der Zusammenkunft von Vertretern aus 173 lizenzierten Vereinen und 22  gerade gegründeten Fachverbänden stand das Wollen, nach den kurzen Jahren des Wiederaufbaus einer zu großen Teilen zerstörten Stadt und der gerade überstandenen Blockade des Westteils  das sportliche Miteinander in selbstgewählten Vereinen eigenständig – abseits kommunaler Sportprogramme und politischer Bevormundung – zu stärken und die Kontakte der von politischer Teilung bedrohten Berliner Bevölkerung zumindest untereinander bei Sport und Spiel nicht abbrechen zu lassen. Die Gründung des Sportverbandes war auch eine Reaktion auf das Vorhaben der östlichen Seite, die Vereine der drei westlichen Sektoren unter dem „Deutschen Sportausschuss“  zu vereinnahmen. Die politische Trennung zwischen Ost und West, der Kalte Krieg und von Agentenangst und Gegeneinander geprägten Auseinandersetzungen standen im Mittelpunkt der ersten 40 Jahre des Landessportbundes Berlin und der geteilten Stadt.

Zur Rückschau auf spannende nunmehr 60 Jahre verhelfen uns neben den persönlichen Erinnerungen und Berichten von Zeitzeugen die 1974 und 1999 zur 25- und 50-Jahrfeier herausgegebenen Festschriften, die seit 1950 versandten ‚Mitglieder-Rundbriefe’ und schließlich seit 1952 die Monatsschrift „Berliner Sport“ (heute ‚Sport in Berlin’) sowie die Chronik der ersten 50 Jahre (zur Zeit ist 50 + 10 in Arbeit). Die 50-Jahrfeier von 1999 mit dem Festakt im Konzerthaus, der Jugendsportschau in der Max-Schmeling-Halle und dem Festball im ICC ist vielen von uns noch präsent, auch wenn schon wieder 10 Jahre – genauso ereignisvoll wie die 10 Jahre seit dem Mauerfall zuvor – vergangen sind. Blicken wir also kurz zurück.

 

Von den ‚politisch unbelasteten’ Lizenzträgern des ersten Zulassungsantrages von 1948 – in 27 Exemplaren und vier Sprachen bei den Alliierten einzureichen – und dann den Mitgliedern des 1949 gewählten Gründungsvorstandes des Landessportbundes ist keiner mehr am Leben, Heinz Henschel – der Sportpalast-Wiederaufbauer und erste Schatzmeister – starb als Letzter vor drei Jahren. Wir erinnern an unsere Ehrenmitglieder, die damals dabei waren: Gerhard Schlegel (1. Vorsitzender), Elisabeth Wolff (Frauenwartin) und Gustav Schulze (Jugendwart). Der LSB wurde vor 60 Jahren als „Verband der Vereine“ gegründet. Sportvereine waren erst 2 Jahre zuvor von den westlichen Alliierten in ihren 3 Sektoren als ‚unpolitische Organisationen’ wieder zugelassen worden, 1949 wurden die bisher bestehenden Kommunalsportgruppen in den Bezirken vom „Hauptamt Leibesübungen“ aufgelöst. Die Aufgaben des Sport-Verbandes Groß-Berlin waren riesengroß, die Zahl der Sporttreibenden stieg und der Wunsch wurde immer stärker, unter dem neuen Dach nicht mehr eine immer größer werdende Zahl von Vereinen, sondern eine überschaubare Delegiertenzahl der Sportarten und deren selbstbewusst gewordener Fachverbände zu versammeln. So wurde der Sportverband am 23. Mai 1951 nach erregten Diskussionen und entsprechendem Presseecho – einfach ausgedrückt Turnen versus Fußball – zum „Verband der Verbände“ umgewandelt.  Gerhard Schlegel unterlag mit einer Stimme gegen Dr. Werner Ruhemann vom BSC und trat mit der ‚Vereinsfraktion’ zurück. Nur Heinz Andrae, Elisabeth Wolff und Gustav Schulze blieben im Amt, neu hinzu kamen Paul Rusch, Adalbert Bestgen und Kurt Draeger. Der Landessportbund hatte damit seine Organisationsform für die nächsten Jahrzehnte gefunden. Ein von Gerhard Schlegel in letzter Minute unterbreiteter ‚Kompromissvorschlag’, den Sportverband aus den Verbänden und den Sport-Ausschüssen der Bezirke stellvertretend für die Sportvereine zu bilden, wurde abgelehnt (er wäre heute wieder aktuell).

 

Neben den bereits erwähnten politischen Problemen einer Stadt zwischen Ost und West ging es um alltägliche Sorgen und Nöte: Die Stadt und die Sportstätten lagen noch zu großen Teilen in Trümmern, Arbeitslosigkeit und Kriminalität musste mit Notstandsprogrammen und Jugendarbeit einschl. Re-Education begegnet werden, Flüchtlinge mussten betreut und ganz banal Brennmaterial gesammelt werden. Der Aufbau von demokratischen Strukturen erforderten Ehrenamt, Zeit und Geld. Geld kam hauptsächlich von Toto und Lotto, wobei die Beteiligungs- und Verteilungsquoten in vielen Jahren vom Sportverband mit dem Fußballverband und dem Rest der Verbände sowie mit dem Senat und den Parteien ausgehandelt und hartnäckig durchgesetzt werden mussten. Gleiches galt für die Landesmittel: Zuwendungen für Sportstätten und Sportvereine mussten erkämpft werden, 1953 wurde die „Sport-Luftbrücke“ eingeführt und 1958 die Gebührenfreiheit für die Nutzung von Sportstätten verbrieft. Leistungs- und Breitensport sollten nebeneinander gefördert und etwas Gutes für Kinder, Jugendliche, Frauen und Behinderte (Kriegsversehrte) getan werden. Wahrlich große Aufgaben für den neuen Dachverband, der sich 1953 mit dem ‚Haus des Sports’ am Bismarckplatz sein erstes eigenes Domizil schuf. Er sollte später noch öfter als Bauherr auftreten: so bei der Errichtung der ersten Großsporthalle in Wilmersdorf (1962), dem Erwerb der Ferienlager in Heiligenhafen und Oberwarmensteinach, dem Ausbau der Zitadelle (1976) und der ‚Stadion-Terrassen’ (1986) und schließlich der Errichtung des Horst-Korber-Sportzentrums (1990). Mit dem Wirtschaftswunder und den Hilfen des Bundes für die ‚Insel Berlin’ erlebte der Berliner Sport nur langsam einen Aufschwung, stets bedroht durch politische und damit internationale Isolierung, Solidaritätsdefiziten bei den Bundesverbänden und durch ständige Auseinandersetzungen um finanzielle Hilfen. Höhepunkte waren das Endspiel um die Deutsche Fußball-Meisterschaft 1950 als Solidarität des DFB für Berlin, die Vorolympischen Festtage 1952 und das Deutsche Turnfest von 1968. Negative Entscheidungen gegen Berlin gab es leider viele. Die nach dem Mauerbau 1961 gewährten Bundeshilfen und Fahrkostenzuschüsse bildeten fast drei Jahrzehnte den Lebensnerv des Berliner Sports für den Sport- und Jugendaustausch mit dem übrigen Bundesgebiet und dem Ausland.

 

Die Vorsitzenden bzw. Präsidenten wechselten: Nach Werner Ruhemann und Dr. Christian Pfeil kam es zu einer zweiten Amtsperiode von Gerhard Schlegel bis 1972, seine Nachfolger wurden Hans Gleisberg (1972-77), Horst Korber (1977-81), Reinhard Krieg (1981-85), Manfred von Richthofen (1985-2000) und schließlich Peter Hanisch bis 2009 und seitdem Klaus Böger. Das Werden der Sportstadt Berlin ist diesen Männern und ihren Teams zu verdanken.

 

Mit dem LSB-Präsidenten Horst Korber und Manfred von Richthofen als Sportdirektor wurde in den siebziger Jahren der Berliner Sport strategisch – so im 1974 verkündeten ‚Sportplan Berlin’ –  neu aufgestellt: Die Errichtung von Landesleistungszentren – u.a. der Harbig-Halle, dem Turnzentrum, dem Ruder- und Kanuzentrum, und die Anstellung von Landestrainern machten Schluss mit der Abwanderung/Abwerbung der Spitzenkader durch reiche Städte und an Industriekonzerne gekoppelte Sportclubs in ‚Westdeutschland’. Die 1969 eröffnete „Sport- und Übungsleiterschule“ am Sachsendamm und der 1970 gebildete Landesausschuss Leistungssport setzten neue Schwerpunkte für die Sportstadt Berlin. 1970 begann auch die seitdem immer mehr intensivierte Zusammenarbeit mit der Industrie und Handelskammer und der Berliner Wirtschaft. Mit dem Förderungskonzept Leistungssport von 1979, den Planungen für eine Sport-Oberschule und der Gründung des Olympiastützpunktes Berlin im Jahr 1987 war man für den Spitzensport gut gerüstet. Die 1978 und 1979 in Berlin ausgetragenen Weltmeisterschaften im Schwimmen und Bogenschießen sowie der DFB-Beschluss, das jährliche Pokalfinale im Fußball seit 1985 in Berlin auszutragen, setzten Zeichen. Bereits seit 1969 versammelte sich der Nachwuchs zweimal im Jahr beim Finale von ‚Jugend trainiert für Olympia’ in der alten Hauptstadt.

 

Auch im Breiten-, Freizeit- und Gesundheitssport war ein stetiger Aufschwung zu sehen, dass zeigte sich an den Mitgliederzahlen, 1977 wurde die Zahl 300.000 überschritten. Der 1966 ausgerufene „Zweite Weg“ führte zur Bewegung „Trimm Dich durch Sport“, die 1970 in Berlin beschlossen wurde. An die Seite des LA L trat der Landesausschuss Breitensport, der die ersten Leitlinien Freizeitsport verabschiedete und 1979 zum 1. Spielfest mit Frank Elstner in die Rehberge einlud, 50.000 Teilnehmer kamen. Mit den ab 1984 geförderten sportorientierten Großvereinen SC Siemensstadt und TSV GutsMuths wurden von Seiten des Bundes und des Senats die Bemühungen eines „Sports für alle“ unterstützt.

 

Die Sportjugend Berlin, von Anfang an unter dem alliierten Edikt des ‚Jugendlebens nach eigener Ordnung’ gegründet, wuchs zum größten Jugendverband der Stadt und eröffnete 1977 ihre eigene Bildungsstätte auf der Spandauer Zitadelle. Sie machte durch ihre ersten sozialen Offensiven – in den siebziger Jahren für Gastarbeiterkinder und Aussiedler – Furore  und ist heute aus der Jugendhilfe und Sozialarbeit der Stadt nicht mehr wegzudenken. Ihr erstes Aktionsprogramm zur Bewegungserziehung im Vorschulalter wurde 1974 verkündet und entwickelte sich seitdem zu einem bundesweit beachteten Erfolgskonzept. Nach vielerlei politischen Querelen konnte die Sportjugend 1987 die erste Jugendgruppe aus Erfurt im alten Berlin (West) begrüßen.

 

Mit dem Mauerfall und dem Beitritt des Turn- und Sportbundes Berlin (Ost) im Jahr 1990 stellte sich der Landessportbund mit seinen Verbänden dem Aufbau gemeinsamer Strukturen in einer nun vereinigten Stadt. Es waren ohne Zweifel die spannendsten, ereignisreichsten und historisch wichtigsten Jahre des Landessportbundes, seiner Mitgliedsorganisationen und Vereine. Stellvertretend zogen 14 Jugendliche der Sportjugend aus ehemals Ost und West in der Nacht zum 3. Oktober 1990 die Bundesflagge vor dem Berliner Reichstag auf. Wenige Tage später wurde der traditionelle Großstaffellauf ‚Potsdam-Berlin’ wieder aufgenommen. Der Ereignisse dieser Jahre sind zu viele, um sie hier aufzuzählen. Eine gewaltige, noch lange nicht beendete Aufbauarbeit war damit verbunden. Sie prägte die ersten 10 Jahre des Berliner Sports bis zum 50. Jubiläum als größte Herausforderung seit Kriegsende und der Blockadezeit. Wenn auch die Träume eines Bundeslandes ‚Berlin-Brandenburg’ platzten, so steht der Berliner Sport 20 Jahre nach der Wende hervorragend dar. Die Strukturen wurden angeglichen, die Sport-Oberschulen ausgebaut und unter ein neues Dach gebracht, die Programme für Übungsleiter und Jugendtrainer, auch die Vereinsberatung, über den Ausbau Ost hinaus gerettet, das große Antigewaltprogramm ‚Jugend mit Zukunft’ gemeistert und fortgeführt. Internationale Veranstaltungen, wenn auch nicht Olympia 2000, doch zuletzt 2006 die Fußball- und 2009 die Leichtathletik-Weltmeisterschaften, verkünden das weltweite Image der Sportmetropole und tragen zur Wirtschaftskraft der Stadt bei. Wenn inzwischen Sportschule, Olympiastützpunkt, Jugendbildungsstätte ihre ersten runden Jubiläen feiern, zeigt das die Kontinuität und Erfolg. Auch die inzwischen gegründeten Tochter- und Partner-Gesellschaften des Landessportbundes Berlin, so der Trägerverein für den Olympiastützpunkt, die Sport für Berlin Beschäftigungs- und Qualifizierungs-Gesellschaft, die TOP Sportmarketing GmbH, der Verein für Sport und Jugendsozialarbeit, die Kindergartengesellschaft ‚Kinder in Bewegung’ und schließlich die Sportstiftung Berlin sind ein Stück gemeinsamer Zukunft und Kreativität des Berliner Sports und treten neben den ‚alten’ Landessportbund Berlin und seine Jugendorganisation.

 

Und dann noch eins: Der schlafende Riese ‚Sport’ ist erwacht. Das gerade in den letzten 10 Jahren seit dem 50. Jubiläum die Finanzprobleme der Hauptstadt so massiv den Sport beeinflussen und fast ersticken würden, wird eines Tages genauso in die LSB-Geschichte eingehen wie die Wiedervereinigung und die 40 Jahre davor. Hier waren und sind wir alle gemeinsam gefragt und gefordert, der Politik unsere Meinung zu sagen. Sich eingemischt zu haben und zum Protesten bereit zu sein, haben wir bewiesen. So blicken wir stolz auf unsere Demonstrationen von 1986 und 1987 (Flächennutzungsplan), 1992 (Gegen Ausländerhass), 1996 (Jugend braucht Zukunft), 1999 (Mädchenrechte), 2001 (Bäderdemo) und 2002 (Heißer Herbst gegen Rotstiftpolitik)  zurück.  Zufrieden können wir auch sein, dass immer mehr Bürger trotz Wirtschaftskrise und kommerzieller Konkurrenz in unsere Vereine finden. Bereits 1994 wurde die halbe Million an Mitgliedern überschritten, jetzt sind es 550.000. Die Modernisierung der Strukturen – Stichworte: Netzwerke und Kooperationen für den Leistungs-, Breiten- und Gesundheitssport, mehr Sport für Kinder, Jugendliche, Senioren und speziell auch für Frauen im Verbund mit Schulen und Partnern – weisen in die Zukunft. Das in diesem Jahr verkündete 5-Punkte-Programm des neuen Präsidiums setzt dafür Akzente und stellt Weichen. Also ran und ‚Glück auf’ bis zur 75-Jahrfeier!

 

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