Die „soziale Offensive des Sports“ begann in der Sportjugend
Es war der Sportpfarrer der Evangelischen Kirche in Deutschland, Martin Hörrmann, der bei der Suche nach sozialpolitischen Konzepten des Sports Ende der sechziger Jahre die Sportjugend als das ’soziale Gewissen‘ des Sports bezeichnete. Zu Recht. Die Deutsche Sportjugend hat in der noch kurzen Geschichte des Deutschen Sportbundes maßgeblich zur Entwicklung und politischen Anerkennung der ’sozialen Aufgaben‘ des Sports beigetragen. Vielfältige Anstöße der späteren „Sozialen Offensive“ haben ihren Beginn in Modellen und Projekten der Jugendorganisationen des Sports genommen, wurden in Seminaren, Workshops, Vollversammlungen und Bundesjugendtreffen weiterentwickelt und haben über Akademietagungen, Sportkongresse und DSB-Bundestage Eingang in die gesellschaftspolitischen Aufgaben und Ziele der Gesamtorganisation gefunden. Nach dem Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes und der parallel dazu erzielten deutschen Einheit leitet diese sozialpolitische Kompetenz der Sportjugend und ihrer Mitgliedsorganisationen bis hinunter zur Vereinsebene gerade einen längst überfälligen und notwendigen Paradigmenwechsel zugunsten der sportlichen Jugendarbeit in der Sozialpädagogik und Jugendhilfe der Bundesrepublik ein.
Die Soziale Arbeit des Sports ist aber keine Erfindung unserer Zeit. Sie hat vor mehr als 150 Jahren begonnen und die Entwicklung des Vereinssports und der Jugendarbeit immer begleitet und herausgefordert. Sport und Sozialarbeit gehören auch historisch zusammen: Schon Turnvater Jahn verfolgte neben seinen patriotischen auch soziale Ziele. Eine einheitliche Sportkleidung war 1811 auf dem Turnplatz in der Berliner Hasenheide Pflicht, dadurch sollten zumindest beim Turnen die Klassenunterschiede beseitigt werden. Kinder aus benachbarten Waisenhäusern hatten freien Eintritt auf dem Turnplatz, des aus heutiger Sicht ersten „pädagogisch betreuten Abenteuerspielplatzes“ Deutschlands. Die „Förderung der Schwächeren und weniger Geübten“ fand sich fortan in den Satzungen der Turnvereine wieder. Turnen und der Ende des Jahrhunderts hinzugekommene ‚Sport‘ wurden zu einer immer größer werdenden Volksbewegung. So war es verständlich, daß auch der Staat auf die Sportvereine aufmerksam wurde: Als einer der Gründe des 1911 in Preußen verabschiedeten ‚Jugendpflegeerlasses‘ – einem Vorläufer des Jugendwohlfahrtsgesetzes von 1922 – wurde in den Debatten des Preußischen Landtages hervorgehoben, „die Betreuung der Kinder und Jugendlichen in Zukunft nicht mehr allein den Turn- und Sportvereinen überlassen zu wollen“. Nach Inkrafttreten des Jugendwohlfahrtsgesetzes wurden in den zwanziger Jahren Vertreter des Sports in die auf allen Ebenen gebildeten „Ausschüssen für Jugendpflege“ berufen und nahmen Anteil an den Reformbestrebungen der Weimarer Republik in der Jugendpflege, Fürsorge, Volksgesundheit und Hygiene, waren beteiligt am für damalige Zeiten modernen ‚grünen‘ Städtebau und der Errichtung von Volksparks und Sportstadien. Durch die NS-Zeit, die Pervertierung des Sports zur Wehrertüchtigung sowie den fast widerspruchslosen Übergang der Sportvereine in den HJ-, BDM- und KdF-Sport hatten es die Sportorganisationen in der Nachkriegszeit schwer, an ihre soziale Wurzeln der letzten hundert Jahre wieder anzuknüpfen. Die sich inzwischen auch hauptberuflich etablierte Sozialarbeit und Sozialpädagogik blieb gegenüber dem von Ehrenamtlichen betreuten Sport und dessen Anerkennung als Jugendpflege ignorant und ablehnend.
Jugendsport als Mittel zum „Überleben“
Gewichtige Gründe dafür gab es in der noch jungen Geschichte der Bundesrepublik eigentlich nicht, war in der Nachkriegszeit doch gerade der Jugendsport ein wichtiges Mittel zum ‚Überleben‘ in Jugendnoteinsätzen, zur Betreuung von kriegs- und heimatvertriebenen Kindern und deren Schutz vor kriminellen Karrieren gewesen. Schließlich waren mit der Wiederzulassung der Sportvereine demokratisch legitimierte Jugendgruppen und Jugendorganisationen des Sports entstanden, wie es sie in der Nazizeit nicht gegeben hatte. Diese neuen DSB-Nachwuchsorganisationen der Spitzenverbände und Landessportbünde waren von Anfang an gesellschaftspolitisch tätig und übernahmen in Jugendringen und Jugendwohlfahrtsausschüssen ganz selbstverständlich Aufgaben der staatsbürgerlich-politischen und sozial-kulturen Jugendbildung.
Nach den Aufbau- und Wohlstandswunderjahren stellte der Studentenprotest der 68-er Jahre die Reformfähigkeit und Diskussionsbereitschaft der Sportjugend auf teilweise harte Proben. Mit der bewußten Infragestellung des leistungsbezogenen und auf Konkurrenz ausgerichteten Sporttreibens standen mit einem Male die Fragen nach mündigen Bürgern im Sport, einer emanzipatorischen Erziehung im und durch Sport und vor allem einer unmittelbaren Mitbestimmung der Betroffenen selbst in den Sportorganisationen im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Mit dem 1969 erfolgten Austritt der Deutschen Sportjugend aus dem Deutschen Bundesjugendring, der Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände, erhielten diese offenen Fragestellungen und erwarteten Rechtfertigungen besondere Bedeutung, mußte doch die Sportjugend jetzt ganz allein, selbst und eigenständig Antworten finden und jugendpolitisch dazu Stellung nehmen.
Da waren auch Auseinandersetzungen mit den Gesamtorganisationen unvermeidlich, sofern diese sich überhaupt dafür interessierten. Die Forderungen nach ‚Chancengleichheit‘ und „Mehr Demokratie“ im Sport und in der Jugendarbeit waren Schlüsselthemen einer ganzen Generation. Die Kennedy-Aufforderung, „Selbst etwas für den Staat und andere zu tun“ hatte ebenfalls Auswirkungen auf die sozialpolitische Arbeit der Sportjugend und ihrer Mitgliedsorganisationen, ja sie sorgte gegenüber der protestierenden „Neuen Linken“ im Sport für ein notwendiges Gleichgewicht.
Ein mutiger Schritt
Planerische und personelle Kapazitäten für diese aktuellen und herausfordernden gesellschaftlichen Aufgaben des Sports waren zufällig bei den Sportjugenden vor und nach den Olympischen Spiele von München 1972 vorhanden, herbeigeführt durch den Wettstreit eines immer noch anhaltenden ‚kalten Krieges‘ zwischen West und Ost: Am Beispiel des Leistungssports und der ausgeklügelten Talentfindungs- und Trainingsprogramme des DDR-Sports wurde kurzentschlossen innerhalb des Deutschen Sportbundes das zentrale ‚Kooperationsmodell Leistungssport‘ verabschiedet, in dem eine Verantwortlichkeit und Mitwirkung der Jugendausschüsse der Spitzenverbände und damit der Sportjugend allgemein keinen Platz mehr hatte und zur Abschaffung der bisherigen ‚Jugendschutzbestimmungen‘ – so 1998 vom Deutschen Leichtathletikverband in seiner Chronik mutig zugegeben – führte. Die Jugendorganisationen mußten den Spitzensport an die neuen Bundes- und Landesausschüsse Leistungssport abtreten, was ihnen heute vereinzelt und aus Unwissenheit zum Vorwurf gemacht wird. Jedenfalls fiel das besonders von den Kirchen, Parteien, Gewerkschaften und Jugendringen vom Sport erwartete soziale Engagement und Zugehen auf Randgruppen der Gesellschaft bei der Sportjugend und ihren Untergliederugen auf fruchtbaren Boden. Zu diesem Kontext gehört auch die von Martin Hörrmann eingangs zitierte Aussage.
Herausforderungen durch Randgruppen der Gesellschaft
Offizieller Ausgangspunkt der später als ‚soziale Offensive des Sports‘ bezeichneten Programmatik war der 1972 in Berlin veranstaltete Bundestag des Deutschen Sportbundes. Er sollte unter dem Leitthema „Sport für alle“ Stellung zur Leistung, Freizeit und Herausforderung durch Randgruppen der Gesellschaft beziehen und löste damit, zuerst sicher unbewußt, einen Sprengsatz mit erheblichen sozial- und jugendpolitischen Folgewirkungen aus. ‚Sport für alle‘ war ja nicht nur ein Angebot für diejenigen, die schon und selbst den Weg in die Vereine gefunden hatten, sondern für jene, die noch draußen standen, behindert, fremd, anders, sozial schwächer waren. Als vorrangige Zielgruppen dieser Arbeit benannte der Bundestag Behinderte, Ältere Menschen, Ausländer, Suchtkranke und Straffällige. Die Resolutionen des Bundestages waren für die Deutsche Sportjugend Programm. In ihrer 1978 veröffentlichten „Konzeption“ forderte sie nachdrücklich ‚das Recht junger Menschen auf Bildung und Erziehung ihrer sozialen, psychischen und körperlichen Anlagen und Fähigkeiten, u.a. durch Umweltschutz, gemeinsames Sporttreiben von Familien, Jugendlichen und Älteren, Behinderten, Ausländern und Aussiedlern‘. Weitere Forderungen waren sportliche Angebote in der Jugendhilfe und in den Jugendvollzugsanstalten einschließlich des Eingehens von Patenschaften auf der Vereins- und Verbandsebene. Damit waren die Aufgaben und Ziele der DSB-Jugendorganisationen für die nächsten Jahre klar definiert.
Am Anfang der ’sozialen Klimmzüge‘ der Sportjugend standen zwei auch heute noch aktuelle Themen, die Integration des Sports in den Jugendstrafvollzug und die Betreuung der nach Deutschland einwandernden oder dort geborenen Kinder von ausländischen, insbesondere türkischen Gastarbeiterfamilien. Mit den ersten Sportprojekten in den Jugendvollzugsanstalten Vechta/Niedersachsen und Adelsheim/Baden-Württemberg wurden Erfahrungen auf diesem neuen Arbeitsfeld gemacht. Beide Projekte waren so erfolgreich und vielversprechend, daß innerhalb von wenigen Jahren der Sport im Strafvollzug zu einem Selbstläufer der Jugendarbeit wurde. Von Jahr zu Jahr entwickelten mehr Sportjugenden, Verbandsjugendleitungen und Sportvereine ähnliche Projekte. Die Fußballvereine, unterstützt von der Sepp-Herberger-Stiftung des DFB, kamen so z.B. innerhalb von 10 Jahren auf 50 Patenschaften. Es wurden Sportgruppen in Jugendstrafanstalten gegründet, Übungsleiter und Trainer ausgebildet und angestellt, Partnerschaften an interessierte Vereine vermittelt und in Anstaltsbeiräten mitgearbeitet. Die Deutsche Sportjugend und ihre Mitgliedsorganisationen wandten sich mit eigenen Reformvorschlägen zum Strafvollzugsrecht an Bundestag, Parteien und Länderparlamente.
Auszeichnung mit der Theodor-Heuss-Medaille
Erfolgreich verlief auch der Einstand der Sportjugend beim ‚Sport mit Gastarbeiterkindern‘, insbesondere im Ruhrgebiet und in Berlin. Waren es anfänglich 500 Kinder aus überwiegend türkischen Familien, die 1973 in Berlin örtlichen Sportvereinen beitraten, so hat diese Zahl 25 Jahre später 12.000 überschritten. Ähnlich die Entwicklung im Ruhrgebiet, z.B. in Essen, wo ebenfalls die deutschen Sportvereine – im Gegensatz zu den von Ausländern gegründeten Vereinen – Riesenzulauf hatten und haben. Erste große Kampagnen der Deutschen Sportjugend unterstützten diese Integration, erinnert sei an das Poster und den Slogan „Sport spricht alle Sprachen“ sowie den 1978 durch die DSJ-Vorsitzende Erika Dienstl mit der Initiative ‚Gemeinsinn‘ erfolgten Aufruf an alle Sportvereine, der auch die Unterstützung des Bundespräsidenten fand. Bereits zwei Jahre zuvor war in Berlin-Kreuzberg von der DSJ, der Sportjugend Berlin und der Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik der Deutsch-Türkische Kindertreff gegründet worden. Er wurde 1980 mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet und besteht heute noch. Besondere Beziehungen entwickelten sich seit 1981 zur Türkei, die 1987 zur Gründung des „Vereins zur Förderung des deutsch-türkischen Sportjugendaustausches“ führten. Jupp Derwall und weitere Persönlichkeiten unterstützten diesen ‚Spendensammelverein‘, der leider seine finanziellen Ziele nicht erreichte und dessen Aufgaben heute sehr viel bescheidener der ‚Koordinierungsbeirat Türkei‘ der DSJ mit wahrnimmt. Die Sportjugend leistete seit Anbeginn in der Ausländerintegration eine außergewöhnlich erfolgreiche Arbeit, die schließlich auch der Gesamtorganisation den Weg gewiesen hat. Inzwischen sind die Landessportbünde und Spitzenverbände ebenfalls auf diesem Arbeitsfeld tätig. 1975 beteiligten sie sich das erste Mal am „Tag des ausländischen Mitbürgers“, 1981 verabschiedete der DSB-Hauptausschuss seine „Grundsatzerklärung zum Sport der ausländischen Mitbürger“. Ein gemeinsamer Aufruf des DSB-Präsidenten mit dem Bundesarbeitsminister sowie Eigeninitiativen der Mitgliedsorganisationen folgten, ob sie sich nun „Mitspieler gesucht“ wie in Hessen oder „Mein Freund der Ausländer“ beim Fußballbund, politisch-plakativ „Sportplan 80 – Zielgruppe Sport mit besonderen Zielgruppen“ in Nordrhein-Westfalen oder schlicht „Integrationsmodell“ in Schleswig-Holstein nannten. Die Ende der siebziger Jahre gegründeten Ausländerbeiräte und Landesausschüsse Ausländersport sorgten für mehr als ein Jahrzehnt für das notwendige Miteinander, hielten politisch-ideologische Einflüsse der Heimatländer oder extremer Gruppen aus dem Sport weitgehend heraus, harmonisierten Start- und Teilnahmeberechtigungen oder nahmen auf die Ausländerpolitik Einfluß. Das Integrationsarbeit mehrere Generationen beschäftigen wird, ist nach der deutschen Einheit offenbar geworden, einige Schlachten – vor allem gegen Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit – müssen leider neu geschlagen werden.
Neben der Arbeit mit Straffälligen und Ausländern gab es auch weitere Initiativen der Sportjugend, so z.B. in allen Bundesländern Forderungen zum Umweltschutz sowie regionale Modelle, z.B. das von der Sportjugend Nordrhein-Westfalen mit den Jugendämtern entwickelte Programm „Sport in Heimen“. Seit 1971 ist auch die Beschäftigung von Zivildienstleistenden in der sportlichen Jugendarbeit möglich, die DSJ ist dafür die Zentralstelle. Der 1987 vom DSB in Berlin veranstaltete Kongreß „Menschen im Sport 2.000“ hat die vielfältigen Initiativen der Sportjugend auch öffentlich innerhalb der „sozialen Offensive“ des deutschen Sports gewürdigt.
Weitere Sozialprojekte des Sports sind in den letzten 15 Jahren entstanden. So das erste sozialwissenschaftliche Fan-Projekt der Technischen Universität und der Sportjugend Berlin 1984/85, das mit ähnlichen Projekten Aufnahme in das Nationale Konzept ‚Sport und Sicherheit‘ fand und heute in der Arbeit der KOS, der Koordinierungsstelle der Fan-Projekte, bundes- und europaweit Beachtung findet. Das 1989 vom Bundesinnenministerium ins Leben gerufene Sonderprogramm ‚Sport mit Aussiedlern‘ wird nach einer derzeitigen Übersicht sowohl von den Landessportbünden als auch den Sportjugenden betreut. Einige Modelle der DSJ in der sportlichen Jugendsozialarbeit wurden exportiert, so im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit Straßenkinderprojekte in Uganda und in Namibia.
Neue Herausforderungen durch die deutsche Einheit
Mit der deutschen Einheit und dem gelungenen Aufbau vergleichbarer Jugendstrukturen des Sports in den neuen Bundesländern kamen neue Herausforderungen auf die Sportjugend zu: Der Aufbau von einer Vielzahl von ABM- und SAM-Projekten im Rahmen der Arbeitsförderung in Ostdeutschland, die zunehmende Jugendarbeitslosigkeit, Sonderprogramme der Prävention gegen Aggressionen und Gewalt bei Jugendlichen. Das AgAG-Programm der Bundesregierung speziell für Ostdeutschland und eigene Anti-Gewalt-Programme der Bundesländer gehören zu diesen weiteren Bausteinen der Jugendsozialarbeit der Sportjugend und der Sportvereine.
Nun zu einem besonderen Kapitel. Durch die steigende Anzahl der sehr erfolgreichen Sozialprogramme des Sports gelingt es zunehmend, die etablierte Sozialarbeit (wieder) behutsam und Schritt für Schritt auf die Bedeutung des Sports und auf die Leistungen der Sportvereine aufmerksam zu machen. Auf Akademietagungen, Jugendhilfetagen und Fachkongressen geht es ’nicht um mehr Sozialarbeit im Sport, sondern um mehr Sport in der Sozialarbeit‘. Forderungen, die sich auch angesichts der ‚Hilflosigkeit‘ von Sozialarbeitern gegenüber aktuellen Entwicklungen teilweise gewalttätiger Jugendkulturen langsam durchsetzen. Nicht unwidersprochen, jedoch mit zunehmender Unterstützung. Mit der „sozialen Offensive“ des Deutschen Sportbundes und der Sportjugend wurde jedenfalls die längst überfällige Kooperation zwischen Sport und Jugendhilfe auf den Weg gebracht. Sport als Teil der Jugendhilfe hat inzwischen Konjunktur, auch wenn Besitzstanddenken und alte Abneigungen in den Sozialen Berufen hin und wieder noch anzutreffen sind.
Mehrere umfangreiche Jugendstudien und wissenschaftliche Forschungsprojekte haben die Bedeutung des Sports für die Jugendhilfe und insbesonders für die Jugendsozialarbeit in den letzten Jahren untermauert. Im 1998 vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft herausgegebenen „Lexikon der Ethik im Sport“ sind diese Erkenntnisse nachzulesen. Der Tag ist hoffentlich nicht fern, an dem sich ein Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung der bisher sträflich vernachlässigten sportlichen Jugendarbeit widmen wird. Erste Ansätze, den Sport nicht mehr nur als reine Körperertüchtigung anzusehen, gibt es im jüngsten, dem sogenannten ‚Frankfurter Kommentar’ zum Kinder- und Jugendhilfegesetz. So haben die sozialen Klimmzüge der Sportorganisationen und ihrer Jugendverbände einen Reformprozeß in der Jugendhilfe eingeleitet.
Die derzeit von den Sportjugenden unterstützten Mediations- und Anti-Gewalt-Programme der Bundesländer einschließlich Präventionsprojekten gegen Jugendkriminalität, die erfolgreiche Arbeit der Fan-Projekte und schließlich eine mehr und mehr aufsuchende, hinausreichende oder kiezorientierte Jugendarbeit des Sports in sozialen Brennpunkten setzen zum Ende des alten Jahrhunderts politische Akzente einer neuen Gemeinwesenarbeit und kommenden Bürgergesellschaft. Sie führen zu mehr Zusammenarbeit und Vernetzung sozialer Angebote insgesamt, so wie sie im gegenwärtigen E + C Programm (Entwicklung und Chancen) der Bundesregierung für das Jahr 2.000 beschrieben werden. Schwerpunkt sind dabei die Zusammenarbeit alle freien Träger der Jugendhilfe, zu denen die Sportjugend und die Jugendabteilungen der Sportvereine gehören, mit möglichst vielen interessierten Bürgern und direkt Betroffenen in ländlichen Regionen und den Krisengebieten und sozialen Brennpunkten der Großstädte. Angesichts dieser neuen Herausforderung der Sportjugend und des Vereinssports ist es erforderlich, die bisher erreichten Ziele der sozialen Offensive kritisch auszuwerten und zu fragen, welche Sportvereine noch abseits stehen oder noch nicht durch Aktivitäten aufgefallen sind. Dazu sollen einige Fragen von Günter Grass wiederholt werden, die dieser bei Beginn der Kampagne „Sport für alle“ an den deutschen Sport stellte: „Weiß der Deutsche Sportbund welche Verantwortung er für seine Aktion und mit ihr zu tragen hat? Weiß er, daß die großgewählte Formel ‚Sport für alle‘ fragwürdig bleiben muß und mißbraucht werden kann, wenn sie nicht eindeutig vom gesellschaftlichen Reformkonzept bestimmt wird? Weiß der DSB, daß das Wörtchen ‚alle‘ den Gegensatz zwischen wenigen Privilegierten und vielen Benachteiligten weglügt und folglich bestehen läßt, wenn ‚Sport für alle‘ nicht heißt: Für gesellschaftliche Voraussetzungen einzutreten, die Sport für alle ermöglichen? Wer die Formel ernst nehmen und das heißt mit dem richtigen Inhalt füllen will, der muß soziale Chancengleichheit fordern und herbeiführen helfen.“ Dem Dichter ist beizupflichten. Auch wenn 30 Jahre später einige dieser Fragen noch nicht von allen zufriedenstellend beantwortet wurden, so ist doch in dieser eigentlich kurzen Zeit sehr viel erreicht worden. Angesichts des Jubiläums eines ‚nur‘ halben Jahrhunderts muß gerade die Sportjugend auch weiterhin das ’soziale Gewissen‘ des deutschen Sports bleiben.
Beitrag aus „50 Jahre Deutsche Sportjugend – In einem Jugendberghaus fing es an“.
Verlag Karl Hofmann, Frankfurt/Main, 2000.
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