Franz Lieber: Vom Turner der Hasenheide zum Berater von Abraham Lincoln.

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Es gibt nur wenige Deutsch-Amerikaner, deren Namen, Leben und Wirken sowohl im deutschen Brockhaus und in Meyers Konversationslexikon als auch in der Encyclopedia Britannica und in amerikanischen Nachschlagewerken zu finden ist. Neben Carl Schurz, dem Bürgerkriegsgeneral und US-Innenminister, ist das der Berliner Franz Lieber. Aus dem früheren Turner und Freiheitskämpfer in Preußen wurde in Amerika ein renommierter Jurist, Vater des internationalen Kriegs- und Völkerrechts und Berater des amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln.

Franz Lieber wurde am 18. März 1798 in Berlin als neuntes von zwölf Kindern des Eisenwarenhändlers und Wechselmaklers Friedrich Wilhelm Lieber geboren. Seine Mutter Charlotte war eine geborene Baur. Die Familie lebte in einem schmalen Haus in der Berliner Breiten Straße, nicht weit vom Königlichen Schloss entfernt. Franz, der blonde Lockenkopf, war bald zwischen Fischerkietz und Schlossplatz überall bekannt. Durch Witz und Ernsthaftigkeit, überschäumenden Feuereifer und große Gerechtigkeit zeichnete er sich schon in jungen Jahren aus. Nach Besuch der Hartungschen Privatschule und einer abgebrochenen Lehre im Botanischen Garten wechselte er auf das Gymnasium zum Grauen Kloster (Dürre, 1872).

 

1       Turner und Freiheitskämpfer

 

Er war einer der frühen Schüler des Lehrers Friedrich Ludwig Jahn, der im Juni 1811 auf der Berliner Hasenheide den ersten öffentlichen Turnplatz der Welt eröffnete. Sein Schulfreund Eduard Dürre beschreibt ihn: „Franz gehörte nicht zu den Geschicktesten, jedenfalls aber eifrigsten und unermüdlichen Turnern“. Beim Besuch der Schwimmschule des General v. Pfuel glänzte er durch einen tollkühnen Sprung vom Turm rückwärts und kopfüber, dem ihm keiner nachmachte. Sein Cousin Albert Baur (der spätere Turnpfarrer von Belzig), der eine Zeitlang im Lieberschen Hause wohnte, charakterisierte ihn so: „Franz hatte einen unverwüstlichen Humor und Neckgeist mit erfinderischer Phantasie besessen. Er war der heiter, freundlich, gütig, alles belebende Liebling des Hauses, nachdem zwei ältere Brüder das Haus verlassen hatten. In der Schule war Franz Anführer zu allerlei Ulk und Übermut“ (Dürre, 1872). Dürre gab ihm den Spitznamen „Ziethen“, weil er beim Nachdenken und Lesen am Rande des Turnplatzes eine dem Ziethen-Denkmal auf dem Wilhelmplatz ähnliche Pose einnahm. So wurde er auf dem Turnplatz, bei Turnfahrten und bald überall nur noch Ziethen gerufen, auch Jahn verwandte diesen Namen in überlieferten Briefen.

Das Liebersche Haus war Treffpunkt der Turner und des von einigen gegründeten ‚Turnrathes’, auch Carl Beck, der später wie Franz Lieber auswanderte, war hier anzutreffen. Kontakte gab es auch zu den Burschenturnern, so zu Adolf und Carl Follen sowie zu Carl Ludwig Sand.

Nachdem zwei seiner Brüder Eduard und Adolf 1813 in den Krieg gegen Napoleon gezogen waren und verwundet heimgekehrt waren, wollte er nicht hinten anstehen. Nach der Flucht Napoleons von Elba meldete er sich 1815 freiwillig und gemeinsam mit seinen  Brüdern zum Kriegsdienst und trat als Volunteer in das Colberger Jägerregiment ein. Unter Feldmarschall Blücher machte er den erneuten Kriegszug gegen Napoleon mit. Am 16. Mai 1815 überquerte er den Rhein und kämpfte bei Ligny und Belle Alliance, nur ein Drittel der Kompanie war danach noch einsatzfähig. Nach zwei Verwundungen in der Nähe von Waterloo bei Namur, einem Schuss durch den Bauch und durch den Hals,  wurde er auf dem Schlachtfeld für Tod gehalten und wachte erst im Lazarett von Lüttich wieder auf.  Mehrere Monate dauerte die Genesung in Lüttich, Aachen und Köln.  Aufgetretenen Lähmungen konnte er danach erfolgreich durch Turnübungen in der Hasenheide und den Besuch der 1817 eröffneten Pfuelschen Militärschwimmanstalt lindern. Bald erinnerte nur noch eine starke Schwerhörigkeit an seine Kriegszeit. Nach dem Abitur schrieb sich Lieber in der Berliner Pépinière als Student der Militärmedizin ein (Dürre, 1872: Freidel, 1947).

 

2       Franz Lieber – Angeklagter im Jahn-Prozess

 

In großer, schwärmerischer und später auch als naiv-jungenhaft bezeichneter Anhänglichkeit gehörte er zum innersten Kern der Schüler und bald auch Vorturner Jahns. 1817 war er neben Maßmann und Eiselen einer seiner Vertreter in der Leitung des Turnplatzes (Neuendorf, 1928). Jahn war sein absolutes, fast gottähnliches Vorbild, dessen Gedanken und Aussagen er auf dem Turnplatz und bei Turnfahrten in einer kleiner Kladde notierte und mit „Goldsprüchlein aus Vater Jahns Munde“ überschrieb (Schnapp, 1973).

Diese Aufzeichnungen wurden ihm und dem Turnvater im vor dem Kammergericht geführten ‚Demagogenprozess’ zum Verhängnis. Letztlich waren die ‚Goldsprüchlein’ neben umfangreichen Anschuldigungen gegen Jahn sowie einem obrigkeitskritischen (Turner-)Liederbuch das corpus delicti zur Verhaftung Jahns und dann auch Liebers im Jahre 1819 und der Schließung aller Turnplätze in Deutschland. Lieber hatte Jahn Worte in den Mund gelegt, die dieser nie so gesagt haben wollte. Darunter auch die Ermordung des Polizeidirektors von Kamptz, des Großinquisitors in Preußen. Kammergerichtsrat E.T.A. Hoffmann – auch als Komponist und Dichter allseits bekannt – war ein strenger und für den damaligen Obrigkeitsstaat erfreulich unabhängiger Richter. Als Mitglied der vom König berufenen „Immediatskommission“ gegen demagogische Umtriebe – im Zusammenhang mit dem Wartburgfest und der Ermordung des Staatsrates August von Kotzebue durch den Burschenschaftler und Turner Carl Ludwig Sand – hatte er gegen die nach Berlin verbrachten „Aufrührer“ zu verhandeln. Der König – Friedrich Wilhelm III – hatte aus Angst vor einem ‚Volksaufstand’ nach Jahns Verhaftung Berlin verlassen, was bei seinen Fürstenkollegen gar nicht gut ankam (Für die Berliner ist das Beste an FW III seine Frau, die heute noch verehrte Königin  Luise). Zu den Angeklagten gehörten neben Jahn und Lieber auch die Turner Eduard Dürre und der Arzt Carl Gustav Jung sowie mehrere Burschenschaftler. Zum Ärger des Kammerherrn und Polizeidirektors Karl Albert von Kamptz plädierte Hoffmann im Fall Lieber auf sofortige Freilassung. Als ihm die von Lieber verfassten Aufzeichnungen das erste Mal auf den Tisch gelegt wurden, war er mehr belustigt als juristisch betroffen und schrieb an den Rand „Dieser Fanatismus geht ins Kindische“. Seiner Meinung nach gehörte derartiger ‚Knabenunfug’ überhaupt nicht vor das Kammergericht.  Zur Anklage gegen Jahn bemerkte er: „Das Turnwesen mag allerlei argen Unfug veranlassen, ohne dass deshalb eine förmliche Revolution oder auch nur irgendein bedrohlicher Aufstand gegen die Regierung zu befürchten ist. Das Treiben einiger exaltierter Knaben wird diese Furcht schwerlich rechtfertigen“. Nach den Aussagen Jahns – der seine Worte bei Kenntnis der Lieberschen ‚Goldsprüchlein’ vorher auf die ‚Goldwaage’ gelegt hätte – und zwei Verhören des Lieber – in denen dieser seine Schwerhörigkeit vorbrachte und Sätze Jahns als von ihm erfunden angab – war sein Votum dann klar: „Hat der Lieber vor besagtem Gericht ausdrücklich erklärt, dass der Jahn keineswegs jene Worte in dem niedergeschriebenen Zusammenhange gesprochen, so fehlt es gänzlich an irgendeinem Tatbestand; es ergibt sich überdem sehr deutlich, dass auf die ‚Goldsprüchlein’ sehr wenig Gewicht gelegt werden darf. Auch hier findet sich daher nichts, was die Haft des Jahn rechtlich begründen könnte“ (Schnapp, 1973; Günther, 1976).

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Turnvater Friedrich Ludwig Jahn und sein Richter E.T.A. Hoffmann

E.T.A. Hoffmann war nicht nur in der Musik und Dichtkunst, sondern auch in seinem juristischen Berufe ein ganz Großer. Hans Günther, selbst Kammergerichtsrat und von 1961 bis 1975 Generalstaatsanwalt von Berlin, hat in einem Essay über E.T.A. Hoffmann und den Jahn-Prozess auch die Person Liebers und die dazu von Hoffmann auf 65 Folioseiten eng zusammengefassten Voten und Kommentare ausführlich und nicht ohne Humor beschrieben. Das Urteil im Fall Lieber war zum Ärger der Obrigkeit „Jugendrecht“ im heutigen Sinne. Hoffmann war nicht bereit, einer geäußerten ‚Gesinnung’ ohne ‚Tat’ juristisch zu begegnen. Der zur Mainzer Central-Untersuchungs-Commission gegen die studentischen Aufrührer abgeordnete Geheime Regierungsrat Johann Grano hat gegen Hoffmanns Votum heftig protestiert und im nachhinein für eine verstärkte polizeiliche Überwachung der Freigesprochenen auf der Grundlage der ‚Karlsbader Beschlüsse’ des Deutschen Bundes gesorgt.

Der Jahn-Prozeß zog sich dann bekanntlich noch bis 1825 hin und endete  mit  dem Freispruch des Turnvaters bei gleichzeitiger Verbannung und Polizeiaufsicht. E.T.A. Hoffmann hat die Bestätigung seines Urteils durch die Oberlandesgerichte Breslau und Frankfurt/Oder nicht mehr erlebt, er starb 1822.  Auf Lieber hat der Prozess Zeit seines Lebens großen Einfluss genommen und sein Wirken als einer der bekanntesten Juristen des 19. Jahrhunderts mit bestimmt. Franz Lieber war seit 1825 übrigens mit Jahn auch familiär verbunden,  Jahns zweite Frau Emilie war eine Cousine Liebers, seine Schwiegermutter eine geborene Lieber.

Nach viermonatiger Haft war Franz Lieber zwar juristisch freigesprochen, jedoch vom Studium an preußischen Universitäten wegen fehlender sittlicher Reife ausgeschlossen und unter Polizeiaufsicht gestellt.  So durfte er nach dem Abitur nicht an der Berliner Universität studieren, was im Senat der Universität zu Auseinandersetzungen führte (Schleiermacher trat für Lieber ein, Hegel war dagegen). Nach einer Beschwerde Liebers wurde das Studiumsverbot noch verschärft. Auch in Heidelberg, Tübingen, Marburg und Gießen wurde er abgewiesen. Bevor die Behörden reagieren konnten, immatrikulierte er sich schließlich  in Jena und promovierte dort innerhalb der kürzesten Zeit von drei Monaten zum Doktor der Philosophie in Mathematik. In einem Brief an seinen Vater wurde er angewiesen, das Studium in Jena sofort abzubrechen und in Halle zu beenden (Perry, 1882; Freidel, 1947). Franz hatte die Behörden durch sein schnelles Handeln erfolgreich ausgetrickst.

 

 

3       Kampf gegen die Türken und Selbstfindung in Rom

 

1921 ging Franz Lieber über Halle nach Dresden zu Studien in Militärgeschichte. In der sächsischen Metropole schloss er sich dem Kreis der Bewegung der Philhellenen zur Befreiung Griechenlands von den Osmanen an. Aus dieser Zeit ist eine Anekdote überliefert: In einem Brief an seine Eltern berichtete er über seine Absichten und bat diese, aus seiner Studentenbude in Halle einen von Jahn im Gefängnis geschnitzten Wanderstock zu holen. Jahn hatte ihm diesen mit den Worten übergeben „Wandere in die Welt und werde ein Mann“ (Perry, 1882).

Idealistisch gestimmt und ohne gültige Papiere setzte er sich mit 32 Gleichgesinnten zu Fuß über Paris und Marseille 1922 nach Griechenland ab, um die Griechen in ihrem Kampf gegen die Türken zu unterstützen. Er erlebte eine Revolution im Chaos, verfolgte die Verladung kriegsgefangener Griechen als Sklaven durch die Türken und fand kein positives Urteil über die griechischen Freiheitskämpfer, die ‚bei Regen nicht das Haus verließen’ und in ‚fauler Feigheit’ im Hinterzimmer Uniformen entwarfen. Auch Gespräche mit dem späteren griechischen Innenminister Ioannis Kolettis, dem Ideengeber Coubertins für die Abhaltung olympischer Spiele, hinterließen keinen Eindruck auf ihn. Bald waren die finanziellen Möglichkeiten Liebers und seiner Kameraden für Unterkunft und Verpflegung erschöpft und die Gruppe kampfunfähig. In sein Tagebuch schrieb er: „Die griechische Landbevölkerung plündere, raube und schieße sogar auf jene, die gekommen seien, ihnen zu helfen“ (Lieber, 1823). Seine bisherigen Vorstellungen von Griechenland, den griechischen Helden der Antike und ihren Nachfahren in einem zu führenden Freiheitskampf gegen die Unterdrücker stimmten nicht mit der Wirklichkeit überein und führten bei ihm zum Fazit: „Die leuchtende Vergangenheit habe nichts mit der ruchlosen Gegenwart zu tun“ (Lieber, 1823). Bemerkenswert ist, dass Liebers  Aussagen einschließlich der ‚faulen Feigheit’ in unserem Jahrhundert im Zusammenhang mit der Finanz- und Wirtschaftskrise Griechenlands ganz aktuell von deutschen Zeitungen (u.a. Die Zeit) zitiert wurden.  Enttäuscht, desillusioniert und auch ausgeplündert erreichte er 1822  Rom und fand für ein Jahr Aufnahme im Haus des preußischen Gesandten und Historikers Barthold Georg Niebuhr als Privatlehrer dessen Sohns.  Niebuhr – Verfasser der ‚Römischen Geschichte’ – öffnete ihm die Augen für Bildende Kunst, für Malerei, Literatur und Geschichte und machte ihn auch in Rom mit  Alexander von Humboldt bekannt, mit dem sich eine jahrzehntelange Freundschaft einstellte.  Seine 1823 in Leipzig veröffentlichten Tagebücher über seine Kriegserlebnisse in Griechenland brachten ihm viel Kritik von Seiten der Freiheitskämpfer ein. Über seinen Rom-Aufenthalt berichtete er später in seinem Buch ‚Reminiszenzen an Niebuhr’.  Niebuhr setzte sich erfolgreich mit einem Votum des in Rom weilenden Königs für eine Rückkehrerlaubnis Liebers nach Preußen ein. Trotz einer Vorsprache bei von Kamptz waren der Aufenthalt in Berlin seit 1823 und ein anschließendes Studienjahr in Halle – aus dieser Zeit datiert auch ein Brief von Jahn an Lieber – nur von kurzer Dauer. Wegen burschenschaftlicher Kontakte wurde er 1824 zehn Monate in Cöpenick inhaftiert und kam erst nach Intervention von Niebuhr Ostern 1825 wieder frei. Seine im Gefängnis gedichteten „Wein- und Wonnelieder“ gab er 1825 unter dem Namen Arnold Franz heraus. In Berlin hielt sich Lieber in intellektuellen Kreisen auf, lernte Leopold von Ranke kennen und diskutierte mit den Gebrüdern Humboldt und Julius Hitzig im Salon der Hofrätin Henrietta Herz. Eduard Dürre und Albert Baur berichten, ‚dass er voller Ernsthaftigkeit, großem Kunstinteresse und wissenschaftlicher Begierde aus Griechenland und Italien zurückgekehrt war und in dieser Zeit viele geistige Größen kennen gelernt hatte’. Nur noch wenig erinnerte nach ihren Worten an den Jugendfreund und den alten ‚Ziethen’ von einst (Dürre, 1872). Lieber fand mit Genehmigung der Behörden eine Hauslehrerstelle bei der Gräfin von Bernsdorf, der Ehefrau des preußischen Außenministers,  in Mecklenburg. Ein öffentliches Lehramt war ihm untersagt.  Zusammen mit seinem Bruder Gustav und seinem Cousin Albert Baur nahm er Englisch-Unterricht und bereitete sich so wohl insgeheim auf seine Emigration vor. Tagtäglich wurde er  weiterhin von der Polizei beobachtet und rechnete ständig mit neuer Festnahme, zumal er zu Studenten und Turnern nach wie vor Kontakt hatte.

 

 

4       Freiheit durch Auswanderung

 

1926 entzog er sich den Verfolgern und ging nach England. Jahn gab ihm ein Zeugnis über seine Tätigkeit auf dem Turnplatz in der Hasenheide mit, General von Pfuel ein solches über seinen Besuch der Militärschwimmanstalt.  Er war in London publizistisch tätig, gab Deutsch- und Italienisch-Kurse und versuchte vergeblich, eine Anstellung an der Londoner Universität zu bekommen. In London lernte er seine spätere Frau Mathilde Oppenheimer kennen, die er 1829 in den USA heiratete und die von Jahn in einem Brief an Eiselen ‚als reiche Engländerin’ bezeichnet wurde. Sie war keine Engländerin, stammte aus Hamburg und war in London und Puerto Rico für ihre Familie – ein altes konvertiertes jüdisches Kaufmannshaus – tätig (Meyer, 1913; Freidel, 1947).

In London erfuhr er von John Neal aus Portland/Maine, Mitglied der von dem Jahn-Schüler Karl Völker in London geleiteten ‚Gymnastic Society’, das für das neue Bostoner Gymnasium ein Turnlehrer gesucht wurde und traf sich mit George Bond, dem Bostoner Abgesandten (Geldbach, 1976). Kontakt hatte er auch zu seinen alten Turnfreunden Carl Follen und Carl Beck, die bereits 1824 nach Neu England emigriert waren und in Cambridge und North Hampton arbeiteten. Seine Auswanderung war bald beschlossene Sache, so schrieb er 1827 in sein Tagebuch: „Ich ziehe es vor, in ein Land des Fortschritts auszuwandern, wo sich die Zivilisation ein Haus baut, während wir in Europa kaum mehr wissen, ob wir uns vorwärts oder rückwärts bewegen.“ (Perry, 1882).

Neben Carl Follen, vorübergehend mit der Leitung der zukünftigen Turnausbildung in Boston beauftragt, war es schließlich auch  Prof. Dr. h.c. Friedrich Ludwig Jahn selber, der Liebers Auswanderung nach Amerika unterstützte: Ein Ruf Jahns auf eine Professur für Turnen und Deutsch an der Harvard Universität war 1825/26 wegen dessen ‚exorbitanter’ finanzieller Forderungen nicht zustande gekommen. Die Stelle trat Carl Follen an. 1827 wurde Jahn erneut von der Universität gebeten, diesmal, um die Leitung besagten öffentlichen Turnplatzes des Gymnasiums in Boston zu übernehmen. Jahn versicherte über William Amory der Harvard Universität und der Stadtverwaltung von Boston seine Wertschätzung Amerikas, lehnte aber aus persönlichen Gründen, der Pflege seiner kranken Mutter und seinem fortgeschrittenen Alter,  dankend ab und empfahl Franz Lieber als für die Stelle bestens geeignet. Als Assistenten verwies er auf 32 gerade durch die Weihnachtsamnestie des Königs freigelassene Studenten, von denen viele in Amerika als Turnlehrer tätig werden könnten (Geldbach, 1976; Meyer, 1913)).

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Carl Beck, Carl Follen und Franz Lieber – die drei Turnpioniere in den USA

 

5       Als Turnlehrer in die Neue Welt

 

Franz Lieber erhielt die Stelle und reiste 1927  allein – auch sein Vetter Alfred Baur hätte mit ihm Anstellung finden können – über New York nach Neu England. Carl Follen hatte den Turnplatz bereits mit Mitteln der Stadtverwaltung und privater Geldgeber ausgebaut, Lieber konnte sofort mit der Arbeit beginnen. Zusätzlich verwirklichte er seinen bereits bei Vertragsabschluss mit Boston gefassten Plan, eine private Schwimmschule nach dem Vorbild der von General von Pfuel in Berlin und anderen Städten errichteten Schwimmanstalten aufzubauen. Seine „Dr. Francis Lieber’s Swimming School“  wurde sogar durch den Besuch des amerikanischen Präsidenten John Quincy Adams – ehemals Botschafter in Berlin – geehrt, der nach einem Kopfsprung vom Brett mit Franz Lieber einige Runden schwamm. Der Turnplatz und die Schwimmschule wurden wegen zu geringen Zulaufs und dem Abspringen der Geldgeber 1828 geschlossen (Wildt, 1977). Irgendwie fehlte im freiheitlichen Amerika der äußere Feind zur Körperertüchtigung und damit die Motivation des ‚vaterländischen Turnens’ der Hasenheide. Ein von Lieber entworfenes Reformkonzept mit altersgemäßen Turnangeboten für Körper und Geist sowie Einführung des Frauenturnens wurde nicht mehr verwirklicht. Auch die Harvard-Professur von Carl Follen für Turnen lief aus. Jahns „Deutsche Turnkunst“, die von Carl Beck 1828 ins Englische übersetzt wurde und eine seit 1802 vorliegende Übersetzung der ‚Gymnastik für die Jugend’ von GutsMuths  überbrückten die nächsten 20 ‚turnlosen’ Jahre in Nordamerika. Auch die Lieberschen Pläne der Bostoner Schwimmschule wurden erst 1848 wieder in Philadelphia am Girard College mit der Eröffnung von vier Schwimmhallen fortgeführt (Wildt, 1977). Franz Lieber zählt seitdem mit seinen Freunden von der Hasenheide Carl Beck und Carl Follen zu den drei Turnpionieren in den Vereinigten Staaten. Sie begründeten das öffentliche und schulische Turnen und machten danach in Wissenschaft, Staat und Verwaltung Karriere (Ueberhorst, 1978).

 

 

6       Karriere in Publizistik und Wissenschaft

 

Franz – jetzt Francis – Lieber wandte sich ab 1828 der Publizistik  zu und berichtete nach Referenzen von Niebuhr für mehrere deutsche Zeitungen als ‚Auslandskorrespondent’ aus Nordamerika. Ein großer literarischer Wurf wurde die von ihm nach dem Vorbild des deutschen Brockhaus herausgegebene „Encyclopedia Americana“, die seinen wissenschaftlichen Ruf begründete. 1832 erschien der dreizehnte Band, namhafte Wissenschaftler aller Fachrichtungen hatte er als Autoren gewonnen und neben Carl Follen und Carl Beck auch selbst  Beiträge – so über preußische Geschichte, den Studentenprotest und die Turnbewegung  – geschrieben. Die Encyclopedia erreichte eine Auflagenhöhe von 100.000 Exemplaren, allerdings ohne einen finanziellen Nutzen für den Autor. Lieber wandte sich auch anderen Themen, insbesondere der Rechtslehre, Soziologie und Philosophie und speziell auch dem Strafrecht zu. Mehr als 100 Bücher und Aufsätze stammen aus seiner Feder. Auch als Übersetzer von Beaumont und Toqueville trat er hervor. Zeitlebens führte er einen regen Schriftwechsel mit Freunden in Amerika und Europa. Dazu gehörte auch der Staatsrechtler Prof. Dr. Carl Mittermaier, dessen Sohn auch einige der Lieberschen Werke ins Deutsche übersetzte. Eine hohe Meinung hatte er von Joseph Bonaparte, dem ältesten Bruder Napoleons und Ex-Königs von Spanien, der ihn wegen seiner ausgewogenen Beiträge in der Encyclopedia lobte. Er besuchte ihn 1828 in dessen Exil in Philadelphia und korrespondierte mit ihm über geschichtliche und  politische Themen (Freidel, 1947).

Als er von Jahns zur Erinnerung an die Völkerschlacht von Leipzig verfasster Prosa – den Marschliedern – Kenntnis erhielt, distanziert er sich von seinem früheren Idol.  In seinem Tagebuch vermerkte er 1831, dass er dessen Begeisterung im Nachhinein für ‚hohl, ungesund und unnatürlich’ hält und in dessen Schriften ‚nichts Erhebendes, nicht Belebendes’ mehr sieht. Im Rückblick auf seine Jugend fügt er hinzu: „Traurig wie es klingt, so ist es dennoch wahr, – ich blicke auf keine Periode meiner Jugend mit unvermischter Freude zurück. Ich kenne keinen Zeitabschnitt in der deutschen Geschichte, der mich erquickt, erhebt, begeistert. Erst hier in Amerika habe ich den wahren Wert der Freiheit kennen gelernt; und hier ist der Wendepunkt meines Lebens“ (Perry, 1882).

1835 tritt Francis Lieber eine Stelle als Professor für Geschichte und politische Ökonomie an der Universität von Süd Carolina an. In den nächsten 20 Jahren wird er von hier – mitten aus der amerikanischen Provinz – seine hauptsächlichsten juristischen Werke veröffentlichen: ‚Manual of Political Ethics’, ‚The Principles of Legal and Political Hermeneutics’ und ‚On Civil Liberty and Self-Government’, auf die noch heute im Rechtswesen und der Politikwissenschaft des USA verwiesen wird. Für sein letztgenanntes Werk – einem Vergleich zwischen den Freiheitsbegriffen Frankreichs, Englands und den USA – verlieh im 1850 die Harvard Universität die Ehrendoktorwürde. Lieber propagierte das Prinzip der ‚Subsidiarität’ im Umgang der Bürger und staatlichen Institutionen untereinander und trat auch als Erfinder des Urheberschutzes  und als Reformator des Gefängniswesens hervor, letzteres auch beeinflusst durch seine eigenen, leidvollen Erfahrungen in Preußen (Freidel, 1947; Schäfer, 1993). Zusammen mit Alfred Schücking gab er ab 1842 die erste erfolgreiche deutschsprachige Zeitung für den Süden der Staaten, den „Deutschen Courir“ (später „Deutsche Zeitung“) heraus und veröffentlichte in ihr auch Reisebeschreibungen und eigene Gedichte. Allerdings ist das pathetische Gedicht ‚Amerika’ nicht von Lieber, sondern von Jacob Smith aus Ohio (Hofmann, 2001; Der Deutsche Pionier, 1885).

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Prof. Dr. Francis Lieber (Fotos: University of South Carolina)

 

7       Zweimal nach Deutschland und zurück

 

Jahn war die Karriere seines früheren Musterschülers nicht verborgen geblieben, so  schrieb er 1839 bissig an Landgerichtsdirektor Ulrich: „Von Franz Lieber weiß ich nur, dass er aus dem Freien Neu England nach dem amerikanischen Polen zu den Sklavenhaltern gezogen, wo doch über kurz oder lang die Weißen vertilgt werden.“ (Meyer, 1913). Franz Lieber hatte mit den Sklavenhalterstaaten wenig im Sinn – was ihn nicht abhielt, eigene Haussklaven zu halten – und dachte während einer von der Universität bezahlten 14-monatigen Europareise im Jahre 1844/45, die ihn nach England, Frankreich, Belgien, Holland, Österreich, Preußen und Sachsen führte, auch über eine Rückkehr nach Deutschland nach.

Der neue König Friedrich Wilhelm IV bot ihm in zwei Gesprächen eine Professur für Pönologie, d.h. Gefängniskunde an. Er wäre dadurch Leiter aller preußischen Strafanstalten geworden. Lieber lehnte aus grundsätzlichen und auch aus finanziellen Gründen ab. An seinen Freund Professor Carl Mittermaier schrieb er: „Ich habe zu viel Welterfahrung, um nicht zu sehen, dass, wenn ich unter den Umständen nach Berlin gegangen wäre, ich ein unbefriedigtes, unglückliches, vielleicht sogar ein verächtliches Leben geführt haben würde.“ (Freidel, 1947). Im Gespräch mit dem König, der sich bei ihm für die frühere Verfolgung entschuldigte, wurde auch der Turnvater erwähnt: Friedrich Wilhelm IV, der als Kronprinz die Hasenheide besucht hatte, sah in Jahn nur noch einen ‚gemeinen, eminent vulgären Menschen, der aber nichts Arges wollte’ (Mack, 2002). Gemein muss nicht gemein heißen, es kann sein, dass der König den ‚gemeinen Stand’ Jahns meinte. Warum Franz Lieber auf die hohe Pension zu sprechen kam, die Jahn während der Verbannung und nach dessen Rehabilitation gewährt wurde, ist nicht bekannt. Vielleicht dachte er an sein Anfangsgehalt in Boston mit 800 Dollar per anno, während Jahn 500 Taler für seine Tätigkeit im Lützower Freikorps erhielt und weitere 500 Taler nach Jahns eigenen Worten dafür, dass ‚er das Maul halte’. (Meyer, 1913; Neuendorff, 1928). Beglückt über sein Wiedersehen mit Freunden und Familienmitgliedern in Europa, den Besuch von Städten, Museen und Theatern, aber zutiefst enttäuscht über die politische Situation und den schwachen König in Preußen, kehrte Lieber 1845 nach Süd Carolina zurück.

Der Ausbruch der achtundvierziger Revolution war für Lieber Anlass, ein letztes Mal nach Deutschland zu kommen. Er traf sich mit einem Teil seiner inzwischen in Züllichau ansässigen Familie, traf Hitzig in Berlin und besuchte seinen Sohn Oscar in Göttingen, der bei Humboldt Student der Geografie war und am 18./19. März 1848 auf den Berliner Barrikaden in der Breite Straße und auch in Dresden gekämpft hatte. In Hamburg führte er Gespräche mit Familienmitgliedern seiner Frau und besuchte Frankfurt/Main als Sitz der Nationalversammlung. In Frankfurt traf er mit seinem Freund Professor Mittermaier, inzwischen Präsident des Parlaments in der Paulskirche, und ihm bekannten Abgeordneten – darunter auch Jahn – zusammen. Er hatte kein Verständnis für das Einschlafen der Revolution und den Streit der Parteien untereinander bei gleichzeitigem Erwachen der Reaktion durch die alte Obrigkeit und deren Fürsten. Er war bereit, aber sah keine Chance mehr, persönlich Verantwortung in Preußen zu übernehmen und reiste nach nur drei Monaten verbittert nach Süd Carolina zurück (Perry, 1882; Freidel, 1947).

Vergeblich kandidierte er dort als Universitätspräsident, sein Eintreten für die Anti-Sklaverei-Bewegung hatte ihm nicht viele Freunde gemacht. Bei seinen Studenten, den Söhnen der Plantagenbesitzer galt er als streng, aber gerecht. Bis 1857 hielt es Francis Lieber noch in  seinem selbst gewählten ‚Exil’ aus, bis er auf eine Professur für Geschichte und Volkswirtschaft an die Columbia Universität von New York berufen wurde. Er wurde dort verehrt, geliebt und mit Geschenken überhäuft.  Sein Credo gegenüber den Studierenden war: „Ich habe Ihnen stets zu zeigen gesucht, dass der Mensch eine nicht auszulöschende Individualität besitzt, dass die bürgerliche Gesellschaft ein lebender Organismus ist, dass es keine Rechte gibt ohne entsprechende Pflichten, keine Freiheit ohne die Majestät des Gesetzes, dass nichts Hohes erreicht werden kann ohne Beharrlichkeit, dass es keine wahre Größe geben kann ohne Selbstlosigkeit.“ (Ueberhorst, 1978).

 

 

8       Der ‚Lieber-Code’

 

Der Ausbruch des Sezessionskrieges beförderte ihn 1861  in das Kriegsministerium der Union, er wurde juristischer Berater von Präsident Abraham Lincoln. Sein bleibendes Werk – der sogenannte „Lieber-Code“ – entstand 1861/62 und wurde als ‚Generalorder No. 100’ von Abraham Lincoln am 24. April 1863 unterschrieben. Das erste von kriegsführenden Parteien als Kriegs- und Völkerrecht anerkannte Gesetzeswerk, in denen der Status der Soldaten, Kombattanten, Kriegsgefangenen, Partisanen und Geiseln, aber auch der Zivilbevölkerung und ihres Eigentums in 157 Artikeln beschrieben wurde. Der Lieber-Code gilt im Rechtswesen als Vorläufer der „Haager Landkriegsordnung“ und „Genfer Konvention“ und wurde von den meisten europäischen Staaten übernommen. Er blieb bis 1914 in den USA in Kraft und wird auch heute noch im Zusammenhang mit Kriegsereignissen, den Nürnberger Prozessen und dem UN-Kriegsverbrechertribunal  zitiert (u.a. Schäfer, 1993).

Lieber war persönlich vom Sezessionskrieg betroffen: Drei seiner Söhne nahmen am Bürgerkrieg teil. Oscar, der Humboldt-Schüler, Barrikadenkämpfer von Berlin und in den USA als Geograf anerkannt, hatte sich mit seinem Vater überworfen und kämpfte auf der Seite der Südstaaten. Er fiel in der Schlacht von Williamsburg 1862.  Sein Bruder Hamilton stand in der gleichen Schlacht auf der Gegenseite, verlor einen Arm und starb 1876 in Baden-Baden an den Folgen dieser Verletzung. Norman diente ebenfalls auf Seiten der Union, überlebte und wurde Mitarbeiter seines Vaters. Er war zuletzt Professor an der Militärakademie in Westpoint und starb 1923.  Nach dem Bürgerkrieg arbeitete Lieber weiterhin für Abraham Lincoln und nach dessen Ermordung 1865 für den neuen Präsidenten Andrew Johnson.  In New Yorck wurde er Gründungsprofessor der Rechtswissenschaften seiner Universität. Als Superintendent des Präsidenten sicherte er die Archive der Südstaaten und trat als Vermittler nach den Kriegsereignissen zwischen den USA und Mexico auf. Eine Tätigkeit im diplomatischen Dienst, die er anstrebte, blieb ihm versagt (Freidel, 1947). Seine Kontakte zu den Vereinen des ‚Nordamerikanischen Turnerbundes’ hielt er zeitlebens aufrecht und war, wenn immer es seine Zeit erlaubte, gern gesehener Ehrengast bei Turnfesten und Jubiläen.

 

 

9       Lieber – ein deutscher Amerikaner?

 

An der deutschen Einigung nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 nahm Lieber lebhaften Anteil. Er unterstützte die Politik Bismarcks und die kleindeutsche Lösung der deutschen Einheit ohne Österreich. Einen Teil seiner amerikanischen Freunde verprellte er, als er sich öffentlich für eine Vorherrschaft Preußens in Europa einsetzte und den deutschen Sieg über Frankreich einschließlich der ohne Volksabstimmung erfolgten  Annexion Elsass-Lothringens begrüßte. Er hatte französische Autoren ins Englische übersetzt, war auswärtiges Mitglied der Academie Francaise, aber kein Anhänger von Gleichheit im Sinne einer Volksherrschaft französisch-proletarischer, sozialistischer oder kommunistischer Zielsetzungen. Zeitlebens vertrat er liberale Ansichten, gleichzeitig trat er für einen zentralen (Stände-)Staat mit starken demokratischen Institutionen ein. Ein protestantisch-humanistischer Republikaner, der von seiner bürgerlichen Herkunft, der französischen Besetzung Berlins und dem in jungen Jahren geführten Kampf gegen Napoleon geprägt war. Seine Biografen schließen nicht aus, dass er im hohen Alter noch mit einer Professur in Straßburg liebäugelte (Freidel, 1947). Er verstarb nach einem Herzinfarkt am 2. Oktober 1872.  Sein Jugendfreund Eduard Dürre verfasste in der Deutschen Turnzeitung seinen Nachruf.

Als einer der erfolgreichsten Deutsch-Amerikaner des 19. Jahrhunderts bleibt Francis Lieber aus Berlin in der Erinnerung. Er war freiheitsliebend seit seiner Zeit auf der Hasenheide und der Zusammenarbeit mit Friedrich Ludwig Jahn. Aus dem aufmüpfig-idealistischen jungen Mann vor der Berliner Kammergericht wurde ein weltbekannter Begründer der Rechtswissenschaften, des internationalen Kriegs- und Völkerrechts. In den USA tragen juristische Fakultäten und Institute, sogar ein Gefängnis in Ridgeville,  seinen Namen,  beschäftigen sich Symposien auch im 21. Jahrhundert noch mit seinen grundlegenden Werken. Sein Wirken als Turn- und Schwimmlehrer in Boston ist nur noch Eingeweihten bekannt, im kollektiven Gedächtnis der Staaten sind dagegen – gerade jetzt zur 150.  Wiederkehr des Kriegsausbruchs – die von den Turnvereinen aufgestellten Turner-Regimenten des Bürgerkriegs – the turner rifles – und die zur Inauguration von Abraham Lincoln gebildete Turner-Leibgarde in Erinnerung.

Die Sportgeschichte hat sich mit Franz Lieber bisher vorrangig im Zusammenhang mit seiner Rolle im Jahn-Prozess und in jüngster Zeit durch Ueberhorst und Hofmann als Turnpionier in den USA auseinandergesetzt. Eine Würdigung seiner Tätigkeit als Turner der Hasenheide und jugendlicher Freiheitskämpfer, dessen intellektuelle Stärken und politisch-humanen  Wertvorstellungen damals nur in den Vereinigten Staaten verwirklicht werden konnten, ist überfällig. Dieser Fragestellung könnte auch mit den noch am Berliner Jahndenkmal in der Hasenheide vorhandenen sechs Gedenksteinen aus den Vereinigten Staaten nachgegangen werden, die einen Blick zurück in das 19. Jahrhundert herausfordern.

Es ist zu hoffen, dass ein neues Forschungsprojekt der Universität Hamburg in Kooperation mit den ‚Transatlantikern’ in Göttingen und Bamberg zur Auswertung des in amerikanischen Archiven liegenden umfangreichen Nachlasses Liebers – 15.000 Briefe, Tagebucheintragungen und private Zeitzeugnisse –  auch neue und interessante Erkenntnisse zur frühen Turngeschichte und der Berliner Hasenheide bringen wird.

 

 

 

Literatur und Quellen

 

Dürre, E. (1872). Erinnerungen an Dr. Franz Lieber. Deutsche Turnzeitung, Nr. 49/50.

Freidel, F. (1947). Francis Lieber – Nineteenth-Century Liberal. Clark: The Lawbook Exchange.

Geldbach, E. (1975). Jahn – Professor in Harvard? Deutsches Turnen, Nr. 120.

Geldbach, E. (1976). The Beginning of German Gymnastics in America. Journal of Sport History 3.

Günther, H. (1976). E.T.A. Hoffmanns Berliner Zeit als Kammergerichtsrat. Berliner Forum Nr. 3.

Hofmann A.R. (2001). Aufstieg und Niedergang des deutschen Turnens in den USA. Schorndorf:        Hofmann.

Lieber, F. (1823). Tagebuch meines Aufenthalts in Griechenland. Leipzig: Brockhaus.

Mack, C. u. I. (2002). Like a Sponge Thrown into Water – Francis Lieber’s European Travel Journal      1844-45.Columbia:University ofSouth Carolina.

Meyer, W. (1913). Die Briefe F.L. Jahns.Leipzig: Eberhardt.

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2 Antworten zu “Franz Lieber: Vom Turner der Hasenheide zum Berater von Abraham Lincoln.”

  1. shoulder workouts…

    Franz Lieber: Vom Turner der Hasenheide zum Berater von Abraham Lincoln. « Berlin, Sport und Mehr…

  2. Superbly illuminating data here, thanks!¡­