Die Berliner Hasenheide – erster Turnplatz Deutschlands
Im Jahr 2011 sind 200 Jahre seit der Eröffnung des ersten öffentlichen Turnplatzes Deutschlands – höchstwahrscheinlich der Welt – vergangen. Ein Grund, sich mit diesem Ereignis und dem jetzigen Zustand der Erinnerungsstätten in der Berliner Hasenheide auseinanderzusetzen.
200 Jahre Turnplatz Hasenheide 2011 (Foto: Nippe)
Die Berliner Hasenheide ist für die internationale Turn- und Sportbewegung ‚historischer Boden’ und untrennbar mit dem Namen von Dr. h.c. Friedrich-Ludwig Jahn verbunden. Jahn kam 1809 nach Berlin und lehrte am Gymnasium zum Grauen Kloster und an der Plamannschen Erziehungsanstalt. Im Herbst 1810 gründete er zusammen mit Friedrich Friesen den „Deutschen Bund“, der die staatliche und politische Einheit anstrebte. Im Juni 1811 errichteten Jahn und Friesen in der Hasenheide den ersten öffentlichen Turnplatz. In seiner 1816 erschienen Schrift „Die Deutsche Turnkunst“ schreibt Jahn darüber: ‚In schöner Frühlingszeit des Jahres 1810 gingen an den schulfreien Nachmittagen der Mittwoche und Sonnabende erst einige Schüler mit mir in Feld und Wald, und dann immer mehr und mehr. Die Zahl wuchs, uns es wurden Jugendspiele und einfache Übungen vorgenommen. So ging es fort bis zu den Hundstagen, wo eine Unzahl von Kindern zusammenkam, die sich aber bald nachher verlief. Doch sonderte sich ein Kern aus, der auch im Winter zusammenhielt, und mit denen dann im Frühjahr 1811 der erste Turnplatz in der Hasenheide errichtet wurde’.
Die Hasenheide, der ehemalige Hasengarten des Großen Kurfürsten von Brandenburg, lag weit vor den Toren Berlins in der Gemeinde Rixdorf, dem heutigen Stadtbezirk Neukölln. Als erstes Turngerät dienten Jahn und seinen Schülern die von der Erde erreichbaren Äste einer Eiche, an denen Klimmzüge und Aufschwünge gemacht wurden. Später wurden Klettergerüste, Schwebebäume, Springpfähle, ein hölzerner Barren und ein Hangelreck aufgestellt. Für die Teilnehmer schuf Jahn eine zweckmäßige Turnkleidung aus grauem Leinen. Ein zeitgenössischer Schriftsteller berichtet über den Turnbetrieb: ‚Noch im Sommer 1811 stieg die Zahl der Zöglinge auf 300 aus allen Ständen, von der Privatschule bis zu akademischen Hörsälen, vom Waisenknaben bis zum Fürstensohne’. Die Berliner Bürger beobachteten die Anfänge des Turnens – laut Jahn – mit Verwunderung und lächelten über die Jungen, die unter Anleitung eines bärtigen jungen Mannes in der Hasenheide und den Rollbergen um die Wette liefen und sich im Springen, Werfen, Klettern und Ringen übten. Im Sommer 1812 wurde der Turnplatz vergrößert und durch eine lange ‚Rennbahn’ erweitert. Mit dem Ausbruch der Befreiungskriege erfuhr der Turnbetrieb 1813 eine Einschränkung: Jahn zog mit allen wehrhaften Turnern ins Feld gegen Napoleon. Ende 1814 kehrte er zurück und widmete sich intensiv dem weiteren Ausbau des Turnplatzes. Tausende von Berliner und Rixdorfer Bürgern versammelten sich Tag für Tag in der Hasenheide und schauten Jahn un seinen Turnern zu. 1817 besuchten die Hasenheide allein an einem Tag 1.017 Turner – ein absoluter Höhepunkt! Zwei Jahre später wurde das öffentliche Turnen verboten. Jahn hatte neben seiner Lehrtätigkeit und der Leitung des Turnplatzes in zahlreichen Vorträgen und Veröffentlichungen eine Einigung der deutschen Kleinstaaten gefordert und die Verabschiedung einer „Verfassung“ für alle Bürger verlangt. Das war der preußischen Regierung ein Dorn im Auge. Sein Turnplatz wurde unter Polizeiaufsicht gestellt und 1819 geschlossen. Mit der Ermordung des russischen Staatsrates Kotzebue durch einen Burschenschaftler wurde in Preußen eine völlige „Turnsperre“ verhängt. Jahn galt fortan als Demagoge. Man machte ihm den Vorwurf, dass er als erster ‚die höchst gefährliche Lehre von der Einheit der Deutschen’ verbreitet habe. Er wurde verhaftet. Der Jahn-Prozess zog sich bis 1825 hin und endete mit einem formellen Freispruch. Dennoch musste Jahn Berlin verlassen und einen Zwangsaufenthalt in Freyburg an der Unstrut antreten. Mit dem Regierungswechsel in Preußen wurde diese politische Einschränkung 1840 aufgehoben. Verbittert blieb er in Freyburg und hielt sich von der wieder aufblühenden Turnbewegung fern. Als Abgeordneter der ersten Deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche trat er 1848 zum letzten Mal an die Öffentlichkeit. Er starb am 18. Oktober 1852 im 75. Lebensjahr in der Freyburg an der Unstrut.
Der alte Turnplatz in der Hasenheide wurde nach Aufhebung der Turnsperre nicht mehr benutzt. Die Anlagen waren zerstört, das Gelände verwüstet und mit Schießständen durchzogen. In der Nähe des alten Turnplatzes wurde 1844 von Prof. H.F. Maßmann, einem Schüler Jahns, ein neuer Turnplatz eröffnet, der den Berliner Schulen und Vereinen bis 1934 zur Verfügung stand. Während des 2. Deutschen Turnfestes 1861 in Berlin wurde in der Hasenheide der Grundstein zu einem Jahn-Denkmal gelegt. Der Bau des Denkmals zog sich über ein Jahrzehnt hin und verursachte einen Kostenaufwand von 12.000 Talern. Am 10. August 1872 wurde das Denkmal mit dem vom Bildhauer Erdmann Encke geschaffenen 4 Meter hohen Jahn-Standbild eingeweiht – in Gegenwart vieler Abordnungen aus allen Ländern der Welt. Für den Sockel und den Hügel des Denkmals wurden in allen Teilen Deutschlands, Europas und Übersee Steine gesammelt und – oftmals unter großen Schwierigkeiten – nach Berlin befördert. Der schwerste Stein, ein 30 Zentner-Granitblock, kam aus dem Habichtswald bei Kassel. Von den 130 eingegangenen Steinen tragen 120 eingemeißelte Widmungen, die erst in jüngster Zeit restauriert wurden. Dazu gehören u.a. Steine von der Burg Hohenzollern, von der Düppeler Schanze Nr. 2, vom Steckelberg – der Stammburg Ulrich von Huttens -, von der Burg Sickingen mit der Jahreszahl 1594, vom Hohenstaufen, vom Kyffhäuser, aus dem Teutoburger Wald, vom Heidelberger Schloss, von den Geburtshäusern Lessings, Jahns und vom Leipziger Schlachtfeld. Auch
Steine aus aller Welt am Jahn-Denkmal
Berliner Vereine sind vertreten, so der Männer-Turnverein Vater Jahn Rixdorf (TuS Neukölln), die Turngemeinde in Berlin und die Berliner Turnerschaft. Ein Stein aus Übersee trägt die Inschrift „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte – Am Tage der Abschaffung der Sklaverei in Missouri am 11. Januar 1864“. Andere Steine kamen aus New York, Kalifornien, Kansas City, Chikago, Illinois, Cincinatti und Philadelphia. Ost-Asien ist mit einem Stein aus Manila vertreten. Kanada sandte einen Stein aus Fort Scott. Australien schickte Steinblöcke aus Melbourne und Tamuda. Sieben Turner wagten den lebensgefährlichen Aufstieg zum Gipfel des Zuckerhutes und lösten einen Stein, der mit der Aufschrift ‚Deutscher Turnverein Rio de Janeiro’ versehen wurde. Weitere Steine stammen auch aus Tirol, Österreich, Böhmen, Italien, Siebenbürgen, Spanien, Paris, London, Ungarn und anderen Ländern und Orten. Die Schweizer Turner beteiligten sich an der Sammlung zum Jahn-Denkmal mit zwei prähistorischen Steinbeilen, die im Bodensee gefunden wurden und an der Vorderfront des Denkmals zu sehen sind.
Stein des heutigen TuS Neukölln (Foto: Nippe)
Der Turnplatz in der Hasenheide und das Jahn-Denkmal sind in aller Welt bekannt. Unter internationaler Beteiligung fanden in der Hasenheide regelmäßige ‚Jahn-Feiern’ statt. Das 100- und 150jährige Bestehen des Turnplatzes Hasenheide wurden 1911 und 1961 glanzvoll gefeiert. Im Jahre 1934 wurde mit der Umgestaltung der Hasenheide und des Jahn-Denkmals begonnen. Der alte Turnplatz musste einem 25 ha großen Ehrenhain weichen, der um das neu aufgestellte Jahn-Denkmal angelegt wurde. Diese Anlagen wurden 1936 während der Olympischen Spiele eingeweiht.
150 Jahre Turnplatz 1961 – Gedenkstein von 1964 (Fotos: Nippe)
Die Hasenheide und das Jahn-Denkmal haben den 2. Weltkrieg fast unversehrt überstanden. Von 1949 bis 1954 wurde vom Bezirksamt Berlin-Neukölln ein 50 ha großer „Volkspark Hasenheide“ geschaffen, der zu einer grünen Oase der Ruhe inmitten des hektischen Lebens der Großstadt geworden ist. In der Umgebung des Denkmals entstanden ein Heidegarten, ein Wildgehege, eine Freilichtbühne und ein aus Trümmerschutt aufgeschütteter Berg, die Rixdorfer Höhe. In der Nähe der 400 Jahre alten „Jahn-Eiche“ und des „Friesenhügels“ erinnert eine hölzerne Tafel an die Errichtung des ersten Turnplatzes durch Friedrich-Ludwig Jahn. Nicht weit von der Hasenheide entfernt sind große Sportzentren entstanden, so dass Freibad am Columbiadamm, die Jahn-Sporthalle und die (ehemals) größte Kegelsporthalle Europas.
Der Besuch der Hasenheide und des Jahn-Denkmals im Berliner Bezirk Neukölln ist sicher ein lohnender Ausflug in die internationale Turn- und Sportgeschichte.
Erstveröffentlichung 1975 im „Offiziellen Programm der 6. Gymnaestrada Berlin“. Herausgegeben vom Organisationskomitee im Verlag der T.G. Schiegl GmbH Stuttgart.