Gegen die Eliminierung von Turnvater Friedrich Ludwig Jahn als Namenspatron einer Berliner Grundschule formiert sich zunehmend und deutschlandweit Protest. Der Protest richtet sich vor allem gegen das Bezirksamt Pankow von Berlin, das diese Entscheidung der Schule gebilligt hat. Kritisiert wird eine inzwischen erfolgte Umbenennung in ‚Bötzow-Grundschule‘ nach einer Brauereidynastie, die auch den Namen für ein von Investoren entwickeltes Stadtgebiet in Prenzlauer Berg trägt.
Jahn, Uhland und Arndt: Drei vom Volk gewählte Abgeordnete des ersten deutschen Parlaments in der Frankfurter Paulskirche 1848/49.
(Foto: Archiv LSB Berlin)
Nachstehend ein Beitrag von Prof. Dr. Hans-Jürgen Schulke aus dem Pressedienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) vom 24. März 2015. Professor Schulke ist Sportwissenschaftler und lehrt an den Universitäten Bremen und Hamburg. Er war Sportamtsdirektor und Sportreferent der Freien und Hansestadt Hamburg.
Das Beispiel Jahn:
Sportgeschichte als
pädagogische Herausforderung.
Von Prof. Hans-Jürgen Schulke
In diesen Tagen will eine Grundschule am Prenzlauer Berg mitten in Berlin mit einem fröhlichen Fest ihre Namensumbenennung feiern. Sie will nicht mehr „Turnvater Jahn-Grundschule“ heißen, sondern „Bötzow-Grundschule“. Jahn sei ein Nationalist gewesen, dessen „Leben und Wirken“ nicht in die heutige weltoffene Zeit passe. Der zuständige Bürgermeister begleitete das mit pädagogischer Kompetenz, indem er Jahn heutigen Grundschülern als „nicht vermittelbar“ beurteilt.
Passt Jahns Leben und Wirken von 1778 bis 1852 nicht in die heutige Zeit? Ist sein Wirken pädagogisch nicht vermittelbar? Das tatsächliche Wirken von Jahn zeigt vom Turnplatz für Alle in der Hasenheide über den Beitrag in den antinapoleonischen Befreiungskämpfen, die Gründung des demokratischen Vereinswesens, Unterstützung der Turnbewegung trotz langjähriger Haft und Verbannung durch die preußische Reaktion, Eintreten für die kleinen Leute als Abgeordneter in der Paulskirche 1848/49 bis heute Wirkung.
Gerade die sportliche Vereinsbewegung mit ihren 27 Millionen Mitgliedern in 90 000 Vereinen besitzt dazu sichere Erkenntnisse.
- Wenn die Grundschüler in ihre großzügige Sporthalle gehen, dann werden sie dort Geräte finden, an denen schon vor 200 Jahren junge Leute nach eigenen Ideen und gleichberechtigt geturnt haben. Das war seinerzeit revolutionär, Dank Jahn ist es heute Alltag.
- Sollten die Sportlehrer in der Halle zur Selbständigkeit anregende Bewegungslandschaften aufbauen, dann folgen sie dem Konzept des Turnplatzes, der durch Jahn fast 200mal in Deutschland errichtet wurde – Grundlage des modernen vielseitigen Sports.
- Etwa die Hälfte der Grundschüler dürfte Mitglied in einem Sportverein sein. Vor 200 Jahren wurden demokratisch verfasste Vereine bespitzelt und verboten. Mit Turnplatz und Turnordnung hat Jahn dem Vereinswesen eine dauernde Organisationsform gegeben. Die 4 ältesten Turn- und Sportvereine sind durch Jahn und seine Vorturner gegründet worden.
- Wenn Schüler und Lehrer bei der letzten Fußball-WM schwarz-rot-goldene Aufkleber getragen oder Fähnchen geschwungen haben, dann haben sie auf Jahns Anstoß für deutsche Nationalfarben und -fahnen zurückgegriffen. Sie stehen für ein demokratisches Deutschland.
- Deutschland wird sich um Olympische Spiele bewerben. Dort kommen über 200 Nationen zum friedlichen Wettstreit zusammen. Jahns Eintreten für den Nationalstaatsgedanken ist dafür wesentliche Voraussetzung, sein „deutsches“ Turnen ist olympische Kernsportart und wird in über 100 Ländern betrieben.
- 2017 findet das weltweit größte Breitensportereignis, das Deutsche Turnfest in Berlin statt. Hunderttausende Menschen werden fasziniert sein – es war Jahn, der in der Berliner Hasenheide die ersten Turnfeste gefeiert hat. Turner aus aller Welt werden ihn ehren.
- Jahn ist literarisch lebendig. In den letzten sechs Jahren wurden zehn Bücher über ihn geschrieben. Julia von Grünberg hat ein Schulbuch über die wichtigsten Deutschen geschrieben. Jahn ist prominent vertreten. Im Bestseller „Das deutsche Wesen“ wird er positiv gewürdigt.Der deutsche Sport darf bei seiner Entstehungsgeschichte auf wertvolle Impulse aus Aufklärung, Demokratie, Weltoffenheit und friedlichem Zusammenleben zurückgreifen. Sie alle sind mit dem Namen Jahn verbunden, auch wenn er aus heutiger Sicht gelegentlich Wunderliches formulierte, kein Diplomat war und keine große politische Karriere aufweist. Dennoch ist er aus guten Gründen vieltausendmal mit Straßen und Plätzen, Vereinsnamen und Sporthallen, Schulen und Parks, durch Monumente und Tafeln geehrt worden – zuletzt in der „Hall of Fame“ des Sports.
In der Berliner Öffentlichkeit ist die Entscheidung der Schule heftig kritisiert worden, 95 Prozent von über 1000 Lesern der vielgelesenen „BZ“ waren dagegen. Sind sie alle an ungeeignete Pädagogen geraten? Der DOSB hat den richtigen Schritt ergriffen, als er einen besonderen Arbeitsbereich „Gedächtnis des Sports“ geschaffen hat. Die Bötzower Lehrerschaft wird ihn genau-so ansprechen können wie die vor zehn Jahren gegründete Jahn-Gesellschaft. Man lernt ja nie aus.
Die Umbenennung der „Turnvater Jahn Grundschule“ hat noch eine makabre Volte. Der jetzt gewählte Name Bötzow stammt von einer Brauereidynastie, die erst kaisertreu war und schließlich aktiv das Nazi-Regime unterstützte. Das letzte Ehepaar Bötzow nahm sich am Ende des Weltkriegs wie ihr verehrter Führer das Leben.