150 Jahre TSV Berlin-Wedding am 17. Mai 2012
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Sportfreundinnen und Sportfreunde,
ich überbringe Ihnen die Grüße des Forums für Sportgeschichte im Landessportbund und freue mich, zu Beginn Ihres Jubiläums etwas in Ihrer Vereinsgeschichte blättern zu dürfen. Erst einmal Herzlichen Glückwunsch zum 150. Geburtstag. Wenn ich mich so umschaue, sehen Sie jünger aus. Also gut gehalten oder nur gut gepflegt?
Ich bin mir sicher, das Beides auf Ihren Verein zutrifft, der sich am 22. April 1862 hier im ehemaligen Wirtshaus „Apfelweingarten“ gegründet hat und heute als ältester Verein des Ortsteils Wedding im Bezirk Mitte eine ganz besondere Rolle spielt. Daran erinnerte auch eine Gedenktafel, die irgendwann verschwunden ist. Auf einem alten Bild des „Apfelweingartens“ sieht man eine eingeschossige Gaststätte mit großem Garten vor dem Hintergrund weit reichender Felder. Man konnte vor 150 Jahren das Wirtshaus an der Müllerstraße – der Straße der Windmühlen – nur mit Pferd und Wagen oder per pedes erreichen. So komfortabel wie heute mit Bus und U-Bahn in 25 Minuten von Hermsdorf nach Wedding ging es damals nicht. Die erste Pferde-Omnibusgesellschaft wurde erst 20 Jahre später gegründet. Bei Regen musste man Gummistiefel anziehen, eine öffentliche Kanalisation gab es nicht, der Rinnstein war Gosse, und das obwohl die Siedlung Wedding zusammen mit Gesundbrunnen 1861 von Berlin eingemeindet worden war. Berlin wollte Wedding erst gar nicht haben, wegen der armen Bevölkerung und der zuziehenden Arbeiter, die aber sowieso kein Wahlrecht hatten, nur 5 Prozent der rd. 15.000 Einwohner durften wählen.
Erst mal zur Frage: Wie hat alles angefangen und wer waren die Gründer Ihres Vereins?
Ich möchte mir eine eingehende Schilderung der Turnbewegung seit dem ersten Turnplatz auf der Rixdorfer Hasenheide von 1811 aus zeitlichen Gründen verkneifen und erinnere nur daran, dass 1862 Turnvater Friedrich-Ludwig-Jahn bereits 10 Jahre tot war und 1842 der König die „Turnsperre“ in Preußen aufgehoben hatte. Es durften sich nach dem Vereinsgesetz und unter polizeilicher Beobachtung „unpolitische“ Turnvereine gründen, in Berlin und den umliegenden Städten (z.B. in Charlottenburg und Spandau) waren das vierzig, darunter auch Turnvereine für Buchhändler, Lithographen und Bildende Künstler sowie der Mädchen-Turnverein Thusnelda. Aus dieser Zeit gibt es nur noch wenige Vereine, als ältester die Turngemeinde in Berlin von 1848. Von den sechs 1862 parallel zu ihnen gegründeten Vereinen hat nur einer überlebt: Der VfL Berliner Lehrer, der vor 14 Tagen im Cäciliensaal seinen Geburtstag gefeiert hat.
Das Motiv zu den Vereinsgründungen ging vom 2. Deutschen Turnfest aus, das 1861 von der Deutschen Turnerschaft in Berlin veranstaltet wurde. 1.700 Turner aus Preußen und anderen Königsreichen waren dazu in die preußische Hauptstadt gekommen. Am Festzug durch Moabit beteiligten sich 1.200 Berliner Turner und rd. 1.000 Schüler. Die Schau der 4.000 fand auf dem Festplatz im Tiergarten statt, der abends von einem Herrn Siemens durch eine elektrische Bogenlampe taghell erleuchtet wurde. Diese Erfindung sollte für den Wedding später noch große Bedeutung haben. Zum Feiern traf man sich in der Hasenheide, wo auch gleich noch der Grundstein für das Jahn-Denkmal gelegt wurde. Erstmals durften die Turner bei diesem Bundesfest auch ihre schwarz-rot-goldenen Fahnen zeigen, die Obrigkeit gab sich (noch) liberal und die Polizei schritt nicht ein. Die Presse berichtete begeistert über ein erfolgreiches Turnfest.
Diese Begeisterung für das Turnfest teilten fünf Weddinger Bürger, ihre Gründerväter: Der später legendäre Adolf Schröder, der Arzt Dr. Oppenheimer und die Herren Köppen, Pathe und Krause, letzterer hatte seinen Garten bereits mit privaten Turngeräten ausgestattet. Diese Fünf hatten die Idee zur Gründung des Weddinger Turnvereins und trafen auf einen Protagonisten, dessen Namen ich heute dem Vergessen entreißen möchte: Ich meine den Turnlehrer Karl Fleischmann, 30 Jahre jung und seit 1858 Vorsitzender des benachbarten TV Vorwärts. Für mich der damals erfolgreichste Headhunter des Vereinssports in Berlin. Er hatte im Turnfestjahr 1861 bereits Beihilfe zur Gründung des Moabiter Turnvereins – des heutigen TSV GutsMuths – geleistet und stellte sich nun 1862 als Mentor ihren Gründungsvätern zur Verfügung. 1863 war er dann noch Pate bei der Gründung der Berliner Turnerschaft. Beruflich war er Lehrer und erster angestellter Turnlehrer in Preußen, also in Hilfestellung erfahren. Ein Allerweltskerl, der als Multifunktionär des Sports auch noch dem Märkischen Turnlehrerverein vorstand, in der Turnvereinigung Berliner Lehrer turnte und nebenbei mit Dr. Angerstein, dem Vorsitzenden des Berliner Turnrathes, Bücher über das Knabenturnen, die Ausbildung von Mädchen und Frauen sowie Turnfahrten schrieb. Fleischmann betrieb auch selbst zwei Turnplätze, die er an Berliner Privatschulen vermietete. Er war es, der am 22. April ihr erstes Schauturnen leitete und für den Ausbau des Turnplatzes sorgte. Er hat deshalb Dank und Erwähnung verdient.
Der Apfelweingarten wurde bis 1879 als Turnplatz genutzt. 1862 mussten erst einmal Turngeräte gebaut und dann für die Turnabende eine Beleuchtung – Lampions mit Kerzen – aufgehängt werden. Die Apfelbäume eigneten sich für die Kinder auch als hervorragende natürliche Klettergeräte. Am 6. Juli 1862 war es soweit, der Turnplatz konnte mit einer Festrede von Professor Hans Maßmann – einem Mitarbeiter Jahns und Teilnehmer am aufrührerischen Wartburgfest von1817 inJena – eingeweiht werden. Im Apfelweingarten gab es auch einige Maulbeerbäume für die Seidenraupenzucht, so kam der Turnverein Wedding 1864 zu seiner ersten Vereinsfahne. Für das Winterturnen mussten dann zusätzlich Säle in Wirtshäusern angemietet werden, gegen Barzahlung oder Abnahme eines vorher vereinbarten Bierkonsums. Mit Kerzen kam man bald nicht weiter und turnte fortan beim Schein der gerade erfundenen Petroleumlampen, an elektrische Beleuchtung war noch lange nicht zu denken. Die ersten weiteren Turnplätze und Säle des Männer-Turnvereins Wedding lagen in der Müllerstraße, der Chaussee- und Liesenstraße. Ab 1868 konnten dann die von der Stadt gebauten Turnhallen in der Kesselstraße, Bernauer Straße und Scharnhorststraße genutzt werden. Da der Verein inzwischen mehr als 100 Mitglieder hatte, war die Freude groß, ab 1879 die erste größere Turnhalle im Humboldtgymnasium und dann – bis 1933 – die Turnhalle des Lessinggymnasiums in der Pankstraße anmieten zu können.
Der Verein entwickelte sich günstig, nahm an den Wettkämpfen des Berliner Turnrathes teil und besuchte das Deutsche Turnfest in Leipzig 1863, von dem man mit vielen Freundschaften und dem noch heute vorhandenen „Martha-Krug“ zurückkam. Bald schon konnten eine Schüler- und für kurze Zeit die erste Lehrlingsabteilung gegründet werden, auch eine Mädchenabteilung entstand, die dann 1890 um eine Frauenabteilung erweitert wurde. Damit war der MTV Wedding der erste Berliner Turnverein mit einem Frauensport-Angebot und konnte das M im Vereinsnamen streichen. Ein Jahr zuvor hatte der TV Vater Jahn Rixdorf – der heutige TuS Neukölln, mein Verein – ebenfalls eine Frauenabteilung gegründet – wobei Rixdorf/Neukölln damals noch nicht zu Berlin gehörte. Sie waren also die ersten im alten Berlin, weil Wedding schon immer Berlin war. Heute sind Sie Mitte.
Der Gründungsvater Adolf Schröder führte den Verein in den ersten 25 Jahren, er vertrat ihn im Berliner Turnrath und war über Berlin und Brandenburg hinaus bekannt. Als er 1899 starb, wurde ihm die Vereinsfahne mit ins Grab gelegt. Getreu nach Ringelnatz: In meinem Verein möcht ich begraben sein.
Es ist an der Zeit, etwas mehr über den Wedding der Gründungsjahre zu sagen. Sportliche Vergnügungen neben dem Turnen gab es 1862 so gut wie nicht: Das Schwimmen zwischen Panke und Plötze war verpönt und auch offiziell verboten. Erst 1877 eröffnete der Lehrer Auerbach – Auerbach-Salto – die erste städtische Badeanstalt am Schäfersee. Der TV Wedding selbst gründete 1911 eine eigene Schwimmabteilung, nachdem der Berliner Turnrath zum ersten Schwimmfest an den Schäfersee eingeladen hatte. Erst 1907 kam das Stadtbad Wedding in der Gerichtsstraße dazu. Es schreibt sich heute mit zwei t und ist Künstler- und Partytreffpunkt. Andere Sportarten waren kommerziell ausgerichtet: Kegelbahnen wurden von den Gastwirten betrieben, auch der einsetzende Radsport, das Boxen und Ringen waren mehr profitorientierter Zirkus- und Rummelsport. An Reiten, Fechten, Rudern und Segeln, den Sportarten der höheren Stände, war im armen Wedding nicht zu denken. Der Wedding war nach der Rixdorfer Hasenheide das beliebteste Vergnügungsviertel Berlins, keine Straße ohne vier Eckkneipen. Die Mitglieder des TV Wedding waren Kaufleute, Handwerker, Beamte, Buchdrucker, Ziseleure und Büroassistenten, auch drei Rentner. Letzteres ist heute anders. Arbeiter kamen erst später hinzu. Ähnlich sah es am Gesundbrunnen aus, wo sich 1873 der Nachbarverein gegründet hatte.
Nach den von Preußen gewonnenen Kriegen gegen Dänemark 1864 und Österreich 1866 brachte der Feldzug gegen Frankreich 1870/71 die Gründung des Deutschen Kaiserreiches, verbunden mit einem gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung. Berlin wurde Reichshauptstadt. Die Bogenlampe des Herrn Siemens vom Turnfest 1861 führte zur Gründung der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft AEG und dem Glühbirnenkonzern Osram, dazu die Ansiedlung der Maschinenfabrik Schwartzkopf, den Zulieferern von Borsig in Moabit und Tegel, dem Arzneikonzern des Apothekers Schering, schließlich auch der Firmen Groterjan, Rotaprint und Telefunken sowie den stadtbekannten Namen wie Hildebrandt-Schokoladen, Wittler-Brot und Essig Kühne. Weddings Wirtschaft boomte, 1872 wurde der Ring der Eisenbahn eröffnet. Berlin hatte in diesen Jahren seine Bevölkerungszahl von 200.000 auf 400.000, dann zur Jahrhundertwende auf eine Million verfünffacht, 1905 wurde die 2. Million erreicht. Die durch Pferde gezogenen Omnibusse und Straßenbahnen wurden ab 1900 elektrifiziert, bald verkehrten 23 Straßenbahnlinien durch den Wedding. Es entstand aber auch der ‚rote Wedding’ mit seinen Mietskasernen und Elendsquartieren, ermöglicht durch einen 1862 beschlossenen Bebauungsplan, der Spekulanten alle Türen öffnete und in kurzer Zeit die alten Bauernhäuser, dörflichen Siedlungen und Feldmarken verschwinden ließ. An den Seestraße entstanden vornehme 2-Zimmer-Wohnungen, während sich in den 1873/74 errichteten Meyerhöfen in der Ackerstraße in 6 Hinterhöfen 1.200 Bewohner in 300 Kleinstwohnungen, Untermieter und Schlafburschen nicht mitgezählt, drängelten. Eine Wohnung galt in Berlin als normal belegt, wenn pro Zimmer nicht mehr als 5 Bewohner gezählt wurden. Die Kindersterblichkeit war hoch, jedes dritte Kind erlebte nicht seinen ersten Geburtstag. Die Zahl der Arbeitslosen bei wirtschaftlichen Flauten oder Pleiten stieg in die Hunderttausende, hinzu kamen Kriegsversehrte aus den drei Feldzügen. Die Begriffe Schrippenkirche und Trockenwohnen kenne ich aus der Familienchronik meiner Frau, ihre Großmutter hat – überwiegend alleinerziehend – 11 Kinder am Wedding großgezogen. Die Gründung des Turnvereins und später der ersten Sportvereine waren da ein Lichtblick, konnten doch deren Mitglieder den beengten Wohnverhältnissen entkommen und an den Wochenenden bei Wettkämpfen und Turnfahrten ihr soziales Leid für einige Stunden vergessen. Die Stadt bemühte sich, den sozialen Problemen entgegenzutreten, so z.B. als sie den Bau des Volksparks Humboldthain gegen den Widerstand der Terraingesellschaften durchsetzte und später die ersten menschenwürdigen Siedlungen, den Schillerhof am Schillerpark (heute Weltkulturerbe), später dann die Friedrich-Ebert-Siedlung errichtete.
Die politischen Entwicklungen und Arbeiteraufstände, vom Verbot und der Verfolgung der Sozialisten und Kommunisten, den Straßenkämpfen zwischen rechts und links spare ich aus. An diese Zeit im Wedding erinnert der 1929 gedrehte, Heinrich Zille gewidmete und von Käthe Kollwitz, Hans Balluscheck und dem Wedding-Maler Otto Nagel betreute Stummfilm „Mutter Krausen’s Fahrt ins Glück“. Der von der Münchener Filmhochschule in HD-Qualität restaurierte Film hat mit großem Filmorchester am 20. November in arte seine TV-Premiere. Versäumen Sie ihn nicht.
Am Turnverein Wedding gingen natürlich die politischen Probleme des Alltags nicht vorbei, sowohl sportpolitisch als auch parteipolitisch. Sportpolitisch durch das Bekenntnis zum Jahnschen Turnen ohne Drill, also vielseitigen Leibesübungen nach dem Vorbild der Hasenheide. Der Turnplatz in der Hasenheide war allerdings aus heutiger Sicht mehr ein pädagogisch betreuter Abenteuerspielplatz, denken sie an den Kletterturm, der eher an den Großmast der Gorch Fock und den heutigen Hochseilgarten der Sportjugend im Olympiapark erinnert. Das wollte das preußische Schulturnen nicht bieten, hier musste es diszipliniert und militärisch zugehen. So entstanden die berüchtigten Turnstunden nach Adolf Spiess: der Lehrer – noch jung – turnte vor, die Zöglinge nach. Die Frei- und Ordnungsübungen mit und ohne Gerät waren in Turntafeln minutiös vorgegeben. Ein Kürturnen à la Hasenheide – jeder macht was er will – war undenkbar, auch der Einsatz von evtl. politisch unzuverlässigen Vorturnern oder älteren Schülern, die den jüngeren halfen war nicht erwünscht. (Damit tut sich die Schule noch heute schwer, Sporthelfermodelle und der Einsatz von Sportassistenten für den Schulsport sind gescheitert. Viele Geräte aus der Hasenheide, die schwingenden Ringe, der Rundlauf, die Klettergeräte sind schon wegen der Unfallgefahr verboten/Extremsportarten finden auf der Straße statt). Auch das Schwedische Turnen ohne Reck und Barren, aber mit Gymnastik und Heilturnen setzte sich nicht durch. Der sogenannte „Barrenstreit“ zwischen Pädagogen, Ärzten, Politikern und Journalisten wurde über 10 Jahre ausgetragen und füllt in der Berliner Landesbibliothek mehrere Regale. Allerdings gab es an den preußischen Höheren Schulen schon 3 Turnstunden die Woche für Knaben, für Mädchen zwei, dazu 2 Spielnachmittage. Also mehr als heute. Im Jahr ihrer Vereinsgründung wurde der Turnunterricht übrigens verbindlich an allen Volksschulen eingeführt.
Karl Fleischmann hatte dem TV Wedding von Anfang an das Turnen nach Jahn empfohlen – ein Erfolgsprogramm. Das Modell gibt es in seinen Grundzügen noch heute: Beginn mit Kürturnen, dann Gymnastik (auch mit einem Lied verbunden/heute mit CD-Player), dann Riegenturnen an zwei Geräten unter Anleitung von Vorturnern, danach Turnspiele, Faustball, Prellball, Handball auf kleine Kästen, Völkerball mit Medizinbällen. Heute arbeiten Schulen und Sportvereine zusammen, wobei sich einige Übungen modern und englisch-hipp geben, wenn ich mir das Programm des Turnerbundes für die jährliche Tagung in Kienbaum anschaue. Von A bis Z – von Aerobic bis Zumba, jede Menge Exotisches, aber nicht nur Neues. Das Völkerballspielen mit Medizinbällen muss ein früherer Berliner Finanzsenator am eigenen Leib im Schulsport erlebt haben, er wehklagte über seine bösen Mitschüler und den Sportlehrer, die ihn als Zielscheibe bevorzugten. Wir wären froh, er hätte ein Buch „Deutschland schafft den Medizinball ab“ geschrieben. Diese politische Entgleisung tut mir leid.
Beim Riegenturnen, dem Kunstturnen an den Geräten, kam der TV Wedding zu besonderen Ehren: Ist ihnen in Erinnerung, dass ihr Vereinsmitglied Hugo Peitsch gleich bei zwei Olympischen Spielen die Farben ihres Vereins vertrat? Der damals 25-jährige Turner nahm an den 2. Olympischen Spielen1900 inParis teil und war mit Platz 29 bester deutscher Turner im Mehrkampf. Sein Mannschaftskollege war der Olympiasieger von Athen 1896 Gustav Felix Flatow,1945 inTheresienstadt umgekommen. Vier Jahre später wurde Hugo Peitsch zu den 3. Olympischen Spielen1904 inSaint Louis entsandt und kam mit einem 7. Platz im Dreikampf in die olympischen Siegerlisten. Er blieb dann allerdings gleich in den USA, wurde Turnlehrer und schloss sich der Turngemeinde in Philadelphia an. In den Zeitschriften und Festschriften des Nordamerikanischen Turnerbundes wird sicher sein Name zu finden sein, auch wenn sie nie wieder etwas von ihm gehört haben.
Dass der 1. Weltkrieg das Vereinsleben unterbrach und teilweise zum Erliegen brachte, muss ich nicht extra begründen.
Nun zum parteipolitischen Streit: Vorbild war das alte Turnerlied „Turner auf zum Streite“, das die Berliner Turnbewegung fast 100 Jahre in Aufregung versetzte: Nicht der edle Wettstreit, sondern der Streit mit Worten stand immer wieder im Vordergrund, Jahn sprach von Maulturnern. Nach der gescheiterten Revolution von 1848 waren mehr als die Hälfte der preußischen Turnvereine aus politischen Gründen verboten worden, die Akteure kamen ins Gefängnis oder wanderten nach Amerika aus. Gründe waren die Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Reaktionären, Monarchisten und Demokraten, Nationalisten und Sozialisten, schließlich Kommunisten. Der rote Wedding war dabei, er wählte zu 80 Prozent links, auch wenn Bürgerliche und Antisemiten (z.B. die Partei des Dompredigers Stoecker) vom Staat gefördert wurden. Im TV Wedding kam es 1908 zum ersten Versuch, die konservativ-kaisertreue Deutsche Turnerschaft und damit auch den Berliner Turnrath zu verlassen. Fast die Hälfte der Mitglieder verließ den Verein und schloss sich der Turngemeinde Wedding an.
Ihr Verein wurde erstmal damit fertig: 1911 nahm er an den Feiern 100 Jahre Turnplatz Hasenheide am Jahn-Denkmal teil, ein Jahr später wurde das 50. Gründungsjahr groß gefeiert. Nach dem 1. Weltkrieg vereinten sich die aus dem Felde zurückgekommenen mit den 1908 ausgetretenen Mitgliedern und vollzogen nun endgültig den Austritt aus der Deutschen Turnerschaft. 1922 trat ihr Verein als ‚TSV Wedding’ der Freien Turnerschaft Groß-Berlin, Bezirk Wedding, im ATUS bei. Aus Turnschwestern und Turnbrüdern wurden Turngenossinnen und Turngenossen. 1925 kamen Mitglieder aus dem kommunistischen TV Fichte hinzu. 1930 verließ ihr Verein die Freie Turnerschaft und wurde 1931 unter dem Namen „Volkssport Wedding“ direktes Mitglied des Arbeiter-Turn- und Sportbundes. Er war endgültig in der Arbeitersportbewegung angekommen. Eine turbulente politische Entwicklung.
53 Vereinsmitglieder nahmen an der Arbeiterolympiade 1931 in Wien teil und gingen durch Jugoslawien und Italien auf Turnfahrt. So konnte man 1932 eine große, glanzvolle 70-Jahrfeier des Vereins in den Germania-Festsälen mit 1.800 Gästen begehen. Motto: Vom Spiel zum Kampf.
Neue Sportart im Volkssport Wedding wurde seit 1922 Handball, damals nur auf dem Feld – zuerst im Schillerpark – gespielt. 1923 unterhielt der Verein 12 Mannschaften, er wurde bei den Männern Berliner Meister im ATB und fünfmal ostdeutscher Meister. 5 Spieler spielten in der Stadtmannschaft, einer in der Nationalmannschaft. Nach einem Unentschieden bei der Bundesmeisterschaft der Frauen unterlag ihr Verein durch Losentscheid 1928. Neben der Handballabteilung gab es eine Sportabteilung, die sich der Leichtathletik widmete.
Mit der Machtergreifung der Nazis war Schluss. Alle linken Sportvereine, von den Arbeitersportvereinen bis zu Fichte, wurden verboten, ihr Vermögen eingezogen. In guter Sportfreundschaft konnten viele Ehemaligen beim Berliner Turnsportverein 1911 unterschlüpfen, die Sängerriege traf sich noch in der Nazizeit, das 75. Jubiläum des Vereins konnte nicht gefeiert werden. Richard Toppel, der letzte Vorsitzende des Volkssport Wedding, hatte Amtsverbot. Nach dem 2. Weltkrieg fanden sich viele Turner und Sportler des alten „Volkssport Wedding“ im Kommunalsport wieder. Nach Aufhebung der Alliierten Vereinsverbote gründete sich im Oktober 1949 der Turn- und Sportverein „Volkssport Wedding“ neu. Richard Toppel, Fritz Polte und Willi Mandel gehörten zu den Widerbegründern und sind mir noch aus den sechziger Jahren bekannt. Richard Toppel übergab mir 1967 aus dem Besitz seines Großvaters eine Festschrift über das Deutsche Turnfest1861 inBerlin. Ich lernte ihn als einen sehr ernsten und strengen Turner kennen. Erst später in Kenntnis seiner persönlichen politischen Biographie wurde mir bewusst, dass diese Ernsthaftigkeit und Strenge ein Teil seines Überlebens in der NS-Zeit waren und ihm die Kraft zum demokratischen Neuaufbau gaben.
Ich möchte mich nun beim weiteren Blättern in der Geschichte ihres Vereins etwas zurückhalten. Viele Zeitzeugen sind heute dabei und haben ihre persönlichen Erinnerungen. Auch ist ihre Festschrift vollkommen.
Wenige Sätze zu den letzten 50 Jahren: Neben dem Turnen wurde auch wieder Handball gespielt, und 1949 kam neu Tennis hinzu. Seitdem wurden die Tennisplätze in den Rehbergen ausgebaut, das 1985 eingeweihte Clubhaus als Schmuckstück und Mittelpunkt ihres Tennislebens. Den Gründer ihrer Tennisabteilung, Otto Streu, habe ich persönlich kennen gelernt. Er zog kurz nach der Gründung nach Britz und ging zu Grün-Weiß Neukölln, in den sechziger Jahren war er wortgewaltiger Vorsitzender der damaligen Arbeitsgemeinschaft der Neuköllner Sportvereine. Ich bringe seinen Namen heute einmal in Erinnerung.
Nach dem Tennis wurde das Vereinsangebot dann durch weitere, noch heute gepflegte Sportarten erweitert: Seit 1975 durch Volleyball, seit 1979 durch Badminton.
Seitdem ist der TSV Wedding ein multifunktionaler, sowohl dem Leistungssport als auch dem Breiten- und Gesundheitssport verschriebener Verein. Durch seine Kinder- und Jugendarbeit, spezielle Angebote für alle Gruppen der Bevölkerung leistet er Sozialisation und Integration. Er erfüllt gesellschafts- und gesundheitspolitische Aufgaben innerhalb unserer Bürgerschaft, und zwar vorbildlich. Was wäre die Sportbewegung ohne die Ehrenamtlichen, die Familien und Sportinteressierten, die Pflicht und Kür immer wieder an Jüngere und nachfolgende Generationen weitergeben?
In diesem Sinne wünsche ich ihnen viel Freude beim Feiern und vor allem viel Glück und Erfolg für morgen und übermorgen, also für die nächsten 50 Jahre ihres Vereins.
A genuine pal is just one who actually overlooks a disappointments combined with tolerates a success.
Ich finde es mal ganz interessant, die Geschichte hinter dem Turnverein zu hören.
Vieles, was du hier aufgelistet hast, wußte ich gar nicht.
Aber man lernt ja auch immer dazu.
Grüße
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