Der Sportverband Groß-Berlin (SVB) wurde am 29. Oktober 1949 als „Verband der Vereine“ gegründet. 173 Vereine waren in den drei Westsektoren Berlins von den Alliierten lizensiert worden. Der sich anbahnende Ost-West-Konflikt und die Blockade Berlins hatten ihren Wunsch beflügelt, sich zu einem unabhängigen, demokratisch aufgebauten Dachverband im Westteils Berlins zusammenzuschließen und der Werbung zum Beitritt in den im Ostteil gegründeten Sportausschuss Groß-Berlin zu widerstehen. Im Gegensatz zum Ostteil der Stadt – dort sollte der Sport nach sowjetischen Vorbild ohne bürgerliche Vereine über die Betriebe und Massenorganisationen gebildet werden – waren im Westteil die Vereine nach dem für den Deutschen Sportbund vorgesehenen „Einheitsprinzip“ entstanden, also ohne die vor 1933 übliche Aufteilung in bürgerliche, sozialistische (Arbeitersport) oder konfessionelle Dachverbände.
In Berlin war man dabei, nach Beendigung des Kommunalsports die bisherigen Spartenleitungen der Sportarten in Fachverbände zu überführen. Das war bei Gründung des Sportverbandes noch nicht abgeschlossen und sollte sich als großes Hindernis für den „Verband der Vereine“ herausstellen. So beteiligte sich die Fußballsparte auch nach Gründung des Verbandes Berliner Ballspielvereine erstmal nicht an der Arbeit des Sportverbandes. Der Sportverband Berlin lud ab 1950 die lizensierten Sportverbände zu „Erweiterten Vorstandssitzungen“ ein, was deren Selbstverständnis keinesfalls entsprach und Unwillen am Dachverband hervorrief. Gerhard Schlegel, der 1. Vorsitzende des Sportverbandes, nahm diese Kritik der Verbände zur Kenntnis und stellte in seiner Neujahrsansprache im Rundfunk „eine gewisse Unruhe über die Neuformung des Verbandes“ fest.
Politische Vorbehalte wegen der mit den Verbandsgründungen verbundenen Rückkehr ehemaliger NS-Funktionäre wurden zwar von der Presse geäußert, vom Sport jedoch nach deren „Entnazifizierung“ ignoriert. Nach der Blockade und der Teilung der Stadtverwaltung war Antikommunismus ein neues bestimmendes Thema. Kommunistische Sportfunktionäre – die im Kommunalsport kräftig mit angepackte hatten – wurden aus Vorstandsämtern der Vereine entfernt und von öffentlichen Verwaltungen entlassen. Im Ostteil traf es die Sozialdemokraten, die sich der Vereinigung mit der KPD zur SED widersetzt hatten und verfolgt und inhaftiert wurden. Der Kalte Krieg bestimmte die Berliner Politik in Ost und West, wobei gegenseitige Sportbegegnungen noch bis zum Mauerbau möglich waren.
Nach der Vergangenheit ihrer Mitglieder wurde in den Vereinen ansonsten nicht gefragt, die Begeisterung für den Sport und starker Aufbauwillen vereinte und schloss gegenseitiges Misstrauen aus. So trieben in den neu gegründeten Vereinen ehemalige bürgerliche Sportler, Arbeitersportler und Fichte-Turner, Katholiken und Evangelen, Sudetendeutsche und frühere Mitglieder der völkisch-antisemitischen „Deutschen Turnvereine“ friedlich miteinander Sport. Auch im SVB-Vorstand saßen Männer und Frauen mit unterschiedlichsten Biografien an einem Tisch. Erst in den achtziger Jahren wurde mit der Aufarbeitung der NS-Zeit begonnen. Das galt auch für den 1933 erfolgten Ausschluss der jüdischen Vereinsmitglieder, was in Festreden und Jubiläumsschriften trotzig oder aus Scham verschwiegen wurde.
Im Mittelpunkt des Handelns stand der Wiederaufbau des Sports nach dem „moralischen Nullpunkt“ des Jahres 1945, so DSB-Präsident Willi Daume. Es ging darum, den Wettkampf- und Breitensport zu organisieren, Kinder und Jugendliche vor der hohen Jugendkriminalität zu bewahren, noch übrig gebliebene Sportstätten zu sanieren und neue mit den zufließenden Toto-Mitteln zu errichten. Eine Riesenaufgabe für den Sportverband und dessen Vereine.
Es blieb nicht aus, dass die Sportverbände immer mehr die Arbeit des Dachverbandes als zentralistisch ansahen und ihre Mitwirkungsrechte einforderten. Zuerst ohne Erfolg, dann aber 1951 mit Nachdruck und offenem Visier.
So standen sich am 23. Mai 1951 im Schöneberger Prälaten zwei Fronten gegenüber. Die der Vereine, angeführt vom Turnerbund, und die der Verbände unter Regie des Fußballverbandes. Eine gemeinsam eingesetzte Satzungskommission hatte der außerordentlichen Mitgliederversammlung drei Entwürfe für eine mögliche „Neuformung“ des Sportverbandes als Dachorganisation des Berliner Sports vorgelegt:
Einmal die Beibehaltung des bisherigen Systems mit alleinigem Stimmrecht der Vereine – eine Stimme pro Verein – und einem Rat der Verbände mit einer Stimme und einem Vetorecht im Vorstand. Ein organisatorisch schwieriges Modell, das bei den absehbar ansteigenden Mitgliederzahlen der Vereine, so die Presse, für Versammlungen „den Wiederaufbau des Sportpalastes“ bedingte.
Dann der Entwurf der Fachverbände mit dem Stimmrecht der Verbände, vorerst auch mit einer Stimme pro Verband und ohne Berücksichtigung der Vereine.
Schließlich ein vom bisherigen Vorsitzenden Gerhard Schlegel eingebrachter Satzungsentwurf, der den Wünschen der Verbände entgegenkam und ihnen ein nach Mitgliederzahlen gestaffeltes Stimmrecht zusprach und die Vertretung der Vereine über neu zu gründende Bezirkssportbünde mit jeweils einer Stimme für zehn Vereine vorsah. Diesen Vorschlag präferierte der SVB-Vorstand, Verbandspressewart Alfred Klappstein stellte ihn den Delegierten vor.
Die Verbände begründeten ihren Satzungsentwurf mit ihrer Fachkompetenz und der nationalen und internationalen Vertretung ihrer Sportarten und stellten einen übergeordneten Sportverband mit Haushaltsrecht grundsätzlich in Frage. In ihrem Entwurf präferierten sie eine Arbeitsgemeinschaft der Sportverbände, die gemeinsam und stark gegenüber der Politik auftreten könne. Eine Beteiligung der Vereine sahen sie als entbehrlich an, da sie deren Interessen vertreten würden und viele kleine Vereine kein Interesse an den überfachlichen Aufgaben des Sports hätten.
Die vorgeschlagene Gründung von Bezirkssportbünden als Organ der regionalen Vereine und Unterorganisation des Sportverbandes wurde abgelehnt. Die Verbände sahen darin eine Beeinträchtigung ihrer gerade erst gewonnenen Selbständigkeit, Unabhängigkeit und demokratischen Freiheit. Für sie waren regionale Strukturen eine Rückkehr zum Kommunalsport und einer erneuten Einflussnahme von Parteien und Behörden auf den Sport. Auch sahen sie sich außerstande personell und finanziell neben ihren Landesverbänden noch bezirkliche Strukturen aufzubauen.
Die Vertreter des Vereinsmodells hatten es schwer, gegen die Front der anwesenden Verbandsvertreter – die sich als Vereinsvertreter sahen – und den rhetorisch in Höchstform agierenden Vorsitzenden des Fußballverbandes (VBB), Paul Rusch, entgegenzutreten. 138 stimmberechtigte Vereine von insgesamt 426 waren gar nicht erschienen, entweder auf Wunsch ihrer Verbände oder tatsächlich wegen mangelnden Interesses an den „überfachlichen“ Anliegen und Problemen des bisherigen Sportverbandes. Polemisiert wurde gegen die Selbstherrlichkeit des Sportverbandes, so beim Beschluss, keine Betriebssport- und Behördensportvereine aufzunehmen und damit den Verbänden Mitglieder zu entziehen. Auch gab es Kritik an der geplanten Errichtung eines „Haus des Sports“, was in Redebeiträgen als genauso überflüssig angesehen wurde wie die bisherige Verbandsstruktur. Ein Verbandstag, über den eine Tageszeitung in Form einer Fußball-Reportage berichtete (s.A.).
Sport-Depesche vom 24. Mai 1951
Kurt Böttcher, Vorsitzender des Turnerbundes, führte die Vereinsfront an und unterstrich die Bedeutung der Vereine als eigentlicher und hauptsächlichster Träger des Sports fernab von speziellen Verbandsinteressen. An seiner Seite standen die aus dem Kommunalsport entstandenen großen Mehrspartenvereine, die sich aus vielen kleinen früheren Vereinen gebildet hatten, und sich TSV, TuS oder TSC nannten. Der Stein des Anstoßes war die Erfassung dieser Mitglieder einschließlich der Leichtathleten, Schwimmer und Handballer beim Turnerbund. Der Turnerbund bezeichnete seine Großvereine in Grußworten und Festreden als „Gesinnungsgemeinschaften“ – ein von den Alliierten verbotener Begriff – und ließ damit alte politische Streitereien aus den zwanziger Jahren wiederaufleben. Die Atmosphäre zwischen den beiden Fronten war vergiftet und aufgeladen, wobei Machtansprüche und Eigenständigkeit statt Abhängigkeit auf beiden Seiten zielbestimmend waren.
Letztlich fand das von Carl Koppehel entworfene Modell eines „Verbandes der Verbände“ mit zweidrittel Mehrheit (223 : 99) Zustimmung. Die Verbände hatten erfolgreich mit ihren Vereinen agiert. Das Vereinsmodell war Geschichte. Eine Kommission bekam den Auftrag, eine neue Satzung innerhalb von 14 Tagen vorzulegen. Am 14. Juni folgte die ordentliche Mitgliederversammlung in der Gerhard Schlegel in der Stichwahl mit einer Stimme unterlag, neuer Vorsitzender wurde Dr. Werner Ruhemann vom Sportärztebund. Einige Mitglieder des bisherigen Vorstandes zogen sich zurück. In der neuen Satzung wurde vom Einplatzprinzip Abstand genommen, zukünftig wurden die Stimmen der Verbände nach den in den „Sportstatistischen Erhebungsbögen“ erfassten Zahlen der Mitglieder ihrer Vereine gestaffelt. Der Landessportbund Berlin hatte vor 70 Jahren seine neue Struktur als „Verband der Verbände“ erhalten.
Die in mehreren Bezirken gebildeten Sport-Arbeitsgemeinschaften der Vereine standen weiterhin außerhalb der LSB-Satzung. Lediglich die Arbeitsgemeinschaften der Sportjugend in den Bezirken wurden als Teil der LSB-Jugendordnung sanktioniert, da sie den Kinder- und Jugendsport für die finanziellen Zuwendungen des Jugendhilferechts öffneten. Mehrmals wurde die Satzung des Sportverbandes bzw. des Landessportbundes seitdem verändert. So durch Wiederzulassung von Betriebs- und Behördensportvereinen, die Aufnahme neuer Sportarten und Sportverbände, diverser Ausgründungen von Sportarten, z.B. der Trennung des Volleyballs vom Turnerbund. Mit der Trimm-Aktion und der Verdoppelung der Mitgliederzahlen im Freizeit- und Breitensport kamen dann die gesamten alten Strukturen des Sports bis zu den olympischen Sportarten erneut ins Wanken.
Die Ablehnung der bezirklichen Arbeitsgemeinschaften, der heutigen Bezirkssportbünde, durch eine Mehrzahl der Verbände war auch nach der friedlichen Revolution noch aktuell. Erst im zweiten Anlauf gelang es 1990, die in Ost-Berlin bestehenden Bezirkssportbünde in der LSB-Satzung zu verankern. Dadurch wurde der Aufbau paralleler Sportstrukturen verhindert, eine etwas peinliche Situation auf dem spannenden Weg zur Sporteinheit.
Jetzt stehen auch die Groß- und Mehrspartenvereine mit ihren Anliegen der Mitwirkung und Interessenberücksichtigung vor der Tür. Diesmal geht es nicht um „Gesinnungsgemeinschaften“ wie 1951, sondern um die Zuordnung und Förderung ihrer Mitglieder im Freizeit-, Gesundheits- und Integrationssport und einer engen Kooperation mit den Bezirkssportbünden. Die Zeit ist nach 70 Jahren reif für eine Modernisierung der LSB-Satzung und damit neue Strukturen. Dabei sind sicher auch die jüngsten Erfahrungen aus den durch Corona ausgelösten Einschränkungen des Sportbetriebs zu berücksichtigen.
Erstveröffentlichung
im März 2021 auf www.lsb-berlin.de.
Kurzfassung in „Sport in Berlin“,
Ausgabe 02-2021