70 Jahre Landessportbund Berlin

Ein Blick zurück:

Vor 70 Jahren wurde der Sportverband Groß-Berlin gegründet.

 

Der Landessportbund Berlin wurde am 29. Oktober 1949 als „Sportverband Groß-Berlin“ gegründet. Im Mittelpunkt stand der Wunsch, den von den Alliierten 1945 in den Bezirken eingeführten Kommunalsport durch die Zulassung des Vereinssports abzulösen und einen Dachverband zu schaffen. Die drei Westalliierten und das Hauptamt für Leibesübungen beim Magistrat waren ähnlicher Meinung und unterstützten die Lizenzierung von Sportvereinen und dann auch von Fachverbänden. Das geschah in Abgrenzung zum Ostteil Berlins, in dem nach sowjetischen Modell Betriebssportgemeinschaften und Sportclubs der Massenorganisationen innerhalb des von der FDJ und dem FDGB gebildeten „Deutschen Sport-Ausschusses“ entstanden.

 

 

 

Die Notwendigkeit eines eigenen Sportdachverbandes im Westteil der Stadt ergab sich auch aus der politischen Situation des Jahres 1948 und der von den Sowjets verfügten „Blockade“ der Westsektoren. So kam es am 10. März 1949 im Studentenhaus am Steinplatz zu einer ersten Zusammenkunft von mehr als 1.000 Vertretern der kommunalen Sportgruppen, der bereits zugelassenen Vereine und der Spartenleitungen aus den Bezirken. Stadtrat May gab die Beendigung des Kommunalsports bekannt und sagte die Unterstützung des Magistrats zur Bildung eines freien, demokratischen Vereinssports zu. . In einer Verordnung wurden die Vereine aufgefordert, bis zum 15. April 1949 ihre Anträge auf Lizenzierung zu stellen. Die bisherigen Spartenleitungen der Sportarten in den Bezirken wirkten dabei als Treuhänder der zukünftigen Sportverbände.

Unter Vorsitz von Gerhard Schlegel (ASV), Dr. Werner Ruhemann (BSC) und Arthur Schmitt (SCC) wurde beschlossen, einen alle Vereine und Verbände umfassenden Sportverband zu gründen. Zur Gründung dieses Verbandes wurden fünf politisch unbelastete und mit dem Sport verbundene Persönlichkeiten als „Lizenzträger“ beauftragt: Dr. Hans Gaede, Georg Gnauck, Erwin Heinold, Heinz Klaussner und Georg Levin.

Am 11. Juni 1949 trafen sich die Delegierten der Sportvereine im Amerikahaus zur Vorbesprechung über die zukünftige Struktur des Dachverbandes. Einvernehmen bestand, nach dem westdeutschen Modell keine Betriebs- und Behördensportvereine zuzulassen. Kontroversen gab es bei der Frage eines „Verbandes der Vereine“ oder eines „Verbandes der Verbände“. Jeweils 8 Vertreter der Sportvereine und der Sportarten (Spartenleitungen) wurden gewählt, um zusammen mit den 5 Lizenzträgern zur Gründungsversammlung im Oktober einzuladen. In mehreren Arbeitsgruppen wurden die Tagesordnung und der Entwurf einer Satzung vorbereitet.

 

Dr. Hans Gaede eröffnete am 29. Oktober 1949 im Kleistsaal des Amerikahauses die Gründungsversammlung des zukünftigen Sportverbandes Groß-Berlin. Als Ehrengäste wurden der Sportoffizier der Britischen Militärregierung, Herr Berensoen, der Vorsitzende des Sportausschusses der Stadtverordnetenversammlung, Herr Barthelmann, und Herr Stadtrat May vom Magistrat begrüßt.

Der vom Organisationsausschuss sorgfältig vorbereitete Satzungsentwurf wurde nach längerer Diskussion gebilligt: Der Sportverband wird ein „Verband der Vereine“. Die Vertretung der Sportarten (der zukünftigen Fachverbände) erfolgte über einen „Erweiterten Vorstand“.

Die 173 stimmberechtigten Vereinsvertreter wählten den ersten Vorstand der neuen Dachorganisation des Berliner Sports:

Vorsitzender: Gerhard Schlegel (ASV Berlin)

Stellv. Vorsitzender:  Arthur Schmitt (SCC)

Stellv. Vorsitzender:  Dr. Hans Gaede (Charlottenburger HC)

Kassenwart: Heinz Henschel (Berliner Schlittschuh-Club)

Sportwart: Heinz Andrae (Berliner Turnerschaft)

Frauenwartin: Elisabeth Wolff (Friedenaue TSC)

Jugendwart: Gustav Schulze (ASV Berlin)

Schriftwart: Carl Almenraeder (Helios)

Pressewart: Alfred Klapstein (SCC)

 

Mit einem Dank an die Delegierten wünschte Stadtrat May dem Vorstand guten Erfolg und versprach die Unterstützung der Stadtverwaltung. Herr Berensoen sah als Hauptaufgabe des Sportverbandes eine möglichst weite Erfassung der Jugend durch den Sport. Diese sollte nicht nur unter dem Aspekt des Leistungssports, sondern insgesamt unter dem Schwergewicht der erzieherischen Werte des Sports erfolgen.

 

 

Der Berliner Sport hatte am 29. Oktober 1949, vier Jahre nach Kriegsende, seine erste Struktur und Organisationsform gefunden. In unruhigen politischen Zeiten hatte sich der Wunsch auf ein Sporttreiben in Selbstverantwortung, Einigkeit und Freiheit erfüllt.

Eine Woche später am 8. November traf sich der Vorstand zu seiner ersten Sitzung. Im Mittelpunkt stand das Mitspracherecht des Sportverbandes bei der Verteilung der Totogelder durch das Hauptamt für Leibesübungen. Ein verständliches, immer wiederkehrendes Thema der nächsten Jahre.

Am 29. November kam es dann zur ersten Tagung des „Erweiterten Vorstandes“, dem die Vertreter der inzwischen gegründeten bzw. in Gründung befindlichen Fachverbände (einschließlich Fußball) angehörten.

Von der Presse und den Parteien wurde die Mitwirkung der über die Bezirke hinaus tätigen Fachverbände kritisch begleitet. Insbesondere gab es Warnungen, dass nunmehr frühere NS-Funktionäre nach „Entnazifizierung“ in die Führung des Sports zurückkehren könnten.

Gerhard Schlegel hat darauf geantwortet und in seinem ersten Vorstandsbericht das gegenseitige Vertrauen und demokratische Umgehen miteinander wie folgt herausgestellt:

„Der am 29. Oktober 1949 gewählte Verbandsvorstand hat in vielen ausgedehnten Sitzungen und Einzelbesprechungen die Grundlagen für einen demokratischen Aufbau der Selbstverwaltung des Berliner Sports geschaffen. Das wachsende Vertrauen untereinander und die gemeinsamen Beschlüsse zeigen, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist. Immer wird über die endgültige Gestaltung einer großen Sportorganisation debattiert und kritisiert werden. Das ist gut so, denn nur aus dem gegenseitigen Meinungsaustausch können wir lernen und weiterkommen. Die einzige Bedingung für solch eine demokratische Diskussion der verschiedensten Fachrichtungen und Interessengruppen ist, dass die Debatten in kameradschaftlicher, menschlich anständiger, andere Gedanken und Vorschläge aufnehmender und anerkennender Form geführt werden. Mit größter Hochachtung und Freude kann ich feststellen, dass in fast allen Sitzungen und Besprechungen des Berliner Sports diese demokratischen Grundgesetze geachtet worden sind. Wo einige Sportfreunde ihre gute Kinderstube verleugnet haben, hat ein Hinweis genügt, um sie an ihre selbstverständlichen Verpflichtungen zu erinnern.“

Die Gründung einer einheitlichen und demokratischen Dachorganisation des Berliner Sports hat Gerhard Schlegel am 31. Dezember 1949 der Bevölkerung in einer Rundfunkansprache über den Rias bekanntgegeben und mit einem „Gut Sport“ zum Neuen Jahr geschlossen (siehe Abdruck). Beide Aussagen sind Zeitdokumente.

 

 

 

Rundfunkansprache von Gerhard Schlegel, 1. Vorsitzender des Sportverbandes Groß-Berlin, zum Neuen Jahr am 31. Dezember 1949 über den Rias Berlin.

 

 

Eine der wichtigsten Aufgaben der Berliner Sportler im Jahre 1949 war zweifellos die Schaffung einer einheitlichen Dachorganisation, die, ohne jede parteipolitische oder wirtschaftliche Bindung die Interessen des Sportes in jeder Beziehung zu vertreten hat.

Am 29. Oktober dieses Jahres wurde der Sportverband Groß-Berlin gegründet und heute, nach 2 Monaten, können wir mit Freude feststellen, dass die Vereine und Fachverbände seine wichtige Funktion erkannt haben und ihrem Verband im Berliner Sportleben den richtigen Platz geben.

 

 

 

Die hauptsächlichen Arbeiten des Verbandsvorstandes

  • die Interessen der Sportler bei Magistrats- und anderen Dienststellen zu vertreten,
  • die Verbindung mit den westlichen Landessportbünden aufzunehmen,
  • die Zusammenarbeit mit den Organisationen des Ostsektors und der Ostzone aufrechtzuerhalten,
  • die Vereins- und Verbandsarbeit durch unsere Einflussnahme bei der Verteilung der Totomittel zu sichern,
  • die Ausbildung geeigneter Lehrkräfte zu fördern und Lehrgänge für Sport-, Frauen- und Jugendwarte durchzuführen,
  • die Instandsetzung der Turn- und Sportstätten, der Schwimmhallen und die notwendigen Neubauten anzuregen und zu fördern und darauf hinzuwirken, dass die Gebührenzahlungen nicht, wie bisher, die wenigen Mittel der Sportvereine verschlingen,

haben bereits zu guten Erfolgen geführt, da uns überall viel Verständnis entgegengebracht wird. Wir Verbandsfunktionäre arbeiten ja auch in unseren Vereinen an führender Stelle mit und haben so unser Ohr stets für die Wünsche und Sorgen der Sportler und vor allem der Jugend offen und wissen, worauf es ankommt.

Berlin soll und will im kommenden Jahr seine alte Bedeutung als Sportzentrum wiedergewinnen. Die Männer, Frauen und Jugendlichen werden bei der verbesserten Ernährung ihre Leistungen steigern können. Die zu erwartende Besserung der wirtschaftlichen Lage Berlins, die vielen unserer Kameraden wieder einen neuen Arbeitsplatz geben wird und ihnen so die Sorgen um das tägliche Brot nimmt, wird die sportliche Leistung ebenfalls erhöhen.

Auch im Jahr 1950 wird der Sport vielen in Berlin, in Deutschland und überall auf dieser Erde etwas ganz Besonderes bedeuten. Wir wollen uns bemühen, die Regeln und moralischen Verpflichtungen unseres Sportes genau einzuhalten und damit unseren Beitrag an der Hebung der allgemeinen Moral leisten. Der Sport wird nicht unser ganzes Leben und Denken beherrschen. Er soll nur am Rande des Lebens stehen, als ein freies, freudespendendes Tun ohne greifbaren Nutzen, als Steigerung des Lebensgefühls und als Ausgleich zu den Gegebenheiten des Alltags.

So verstanden, wird der Sport seinen bescheidenen Anteil zur Milderung der Not der Zeit beitragen. Wir wollen ihn durch unsere gemeinsame Arbeit in die richtigen Bahnen bringen und immer daran denken, dass jeder Sportsmann auch als Mensch nach seiner Gesinnung und Sauberkeit beurteilt wird.

Die Sportler der Westzonen rufen wir auf, uns in Berlin durch ihre Besuche und durch Einladungen nach dem Westen in unserer Aufbauarbeit zu unterstützen.

Vom Magistrat erhoffen wir einen weiteren schnellen Ausbau unserer Sportstätten aus Etatmitteln und nicht nur aus Totogeldern und von den Alliierten wünschen wir uns die völlige Freigabe des Olympiastadions für die Erweiterung unserer Arbeitsgrundlage.

Allen Sportfreunden in Berlin, im Westen und im Osten, über alle Grenzen hinweg wünsche ich ein frohes, sportlich erfolgreiches und gesundes neues Jahr.

GUT SPORT 1950 !

 

Sportlerehrung unter den Augen der Britischen Militärregierung. Foto: LSB-Archiv

 

Erstveröffentlichung in „Sport in Berlin“ vom September/Oktober 2019

 

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