Das Projekt „Kick“ – ein Blick zurück.

Der Beitrag erinnert an die Gründungsgeschichte des Projektes „Kick – Sport gegen Jugenddelinquenz“ von den Anfängen im Jahr 1990 bis zur Konsolidierung zum Jahrtausendwechsel.

Mit einem herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum und der Feststellung „schön, dass es Euch noch gibt“ möchte ich Rückschau halten auf die ersten Jahre des von der Sportjugend und der Polizei gegründeten Kooperationsprojektes ‚Kick – Sport gegen Jugenddelinquenz‘. Es waren spannende Zeiten und viele Steine mussten aus dem Weg geräumt oder übersprungen werden. Ich gehörte von 1970 bis 2000 zu den Wegräumern und trug als LSB-Jugendreferent und hauptamtliches Vorstandsmitglied der Sportjugend Verantwortung für Kick. Daran erinnere ich mich gern.

 

Die Sportjugend trägt die ‚soziale Offensive‘ des Sports

Die Sportjugend Berlin leistete einen wichtigen Teil der in den siebziger Jahren begonnenen ‚sozialen Offensive‘ des Sports in der Bundesrepublik. Schwerpunkt war zuerst die Ausländerintegration mit dem 1973 begonnenen Sonderprogramm ‚Ausländersport‘. Keine andere Organisation in Berlin hatte mehr ausländische Mitglieder als die Kinder- und Jugendabteilungen der Sportvereine. Ein Polizist war es, der 1975 als Vorsitzender der Sportjugend Wedding Partnerschaften zwischen Schulen und Sportvereinen vermittelte und Sportfeste für „Gastarbeiterkinder“ im Humboldthain veranstaltete. In Berlin wurde 1977 das erste Gemeinschaftsprojekt mit einer Fachhochschule für Sozialpädagogik (Alice-Salomon-Fachhochschule) gegründet, der Deutsch-Türkische Kindertreff in Kreuzberg. Die erste Fanstudie in Deutschland ‚Die Fans von Hertha BSC‘ wurde 1985 von der Sportjugend Berlin und der Technischen Universität mit Mitteln der ‚Stiftung Deutsche Jugendmarke‘ veröffentlicht. In den achtziger Jahren veranlassten gewalttägige Jugendproteste und zunehmender Fremdenhass den Senat und schließlich auch den Landessportbund und die Sportjugend, den Fokus auf neue Betreuungs- und Integrationsprojekte „gegen Gewalt“ zu richten. Wenige Tage vor Mauerfall wurde gemeinsam mit der Ausländerbeauftragten am Kottbusser Tor der erste SportJugendClub eröffnet. Auch das „Fan-Projekt“ der Sportjugend war 1989 auf einem guten Weg und rief zu Fairness und Toleranz auf. Es wurde später Bestandteil des „Nationalen Konzeptes Sport und Sicherheit“.

 

Achim Lazai: Mit der ‚Kraft des Sports‘ gegen Kleinkriminalität

Ein wichtiger Partner der Sportjugend war seit der Arbeit mit Fußball-Fans die Berliner Polizei, was anfangs Kritik der etablierten Jugendhilfe hervorrief. Nach der friedlichen Revolution war alles anders: Die staatlichen Jugendämter zogen sich aus der Jugendarbeit zurück, die bisherigen Jugendverbände verloren ihr Monopol, immer neue freie Träger der Jugendhilfe entstanden und suchten über kommunale Netzwerke und Jugendhilfeausschüsse staatliche Zuwendung. Gemeinsame Aufgabe für alle war im vereinten Deutschland, dem zunehmenden Gewaltpotential gegen Ausländer seit Rostock zu begegnen. Das erforderte auch Solidarität mit der Polizei und ein Zusammenrücken aller demokratischen Kräfte.
So fand der Kriminalhauptkommissar Achim Lazai zur Sportjugend. Er erhielt von ihr Unterstützung in seinem Anliegen, die Kraft des Sports gegen Jugenddelinquenz einzusetzen und junge Bagatelltäter gezielt an Sportvereine heranzuführen. In seinem kleinen Büro in der Friesenstraße führten wir die ersten Gespräche und entwickelten ein Projektkonzept für einen noch zu findenden Sponsor. Achim war als früherer Übungsleiter des TSV Staaken davon überzeugt, dass Sporttreiben mit gleichzeitiger sozialpädagogischer Betreuung die Bagatelltäter in seinem Kreuzberger Kiez von der Straße holen könnte. Bei Vernehmungen hatte er als Hauptgrund von Delinquenz und Tätlichkeiten immer wieder Langeweile festgestellt.
Was an polizeilichem Ermittlungsaufwand notwendig ist und wie es aus Langeweile zu Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung kommen kann, haben mir Achim und sein Sohn Eckhardt im Fall der Jugendlichen Dennis und Karsten nahegebracht (die Namen wurden verändert, die Sachverhalte sind wahr). Auf 35 Seiten dokumentierten sie Strafanzeigen, Zeugenbefragungen, Einsichtnahmen in die ‚Lichtbildvorzeigekartei‘, schließlich die Vernehmungen und den Schlussbericht für die Staatsanwaltschaft und die Jugendgerichtshilfe mit der Empfehlung zur Kontaktaufnahme mit dem Kreuzberger Kick-Projekt. Ich habe die beeindruckende Akte seit meinem Dienstjubiläum aufgehoben.
Achim Lazai hatte seine Ideen zur Prävention und aktiven Hilfe des Sports 1983 in der Fachzeitschrift „Der Kriminalist“ veröffentlicht und seitdem – wie Pfarrer Braun mit dem Modell seiner Kirche – auf eine Verwirklichung gedrängt. Der Journalist Marcel Fürstenau hat im April 1986 in der LSB-Zeitschrift „Sport in Berlin“ über seine Aktivitäten berichtet und zur Zusammenarbeit der Polizei mit den Sportvereinen aufgefordert. Keine leichte Aufgabe in einer auf Beurteilung und Beförderung abgestellten Polizeibehörde mit wenig Zustimmung oder gar Begeisterung bei Vorgesetzten und Kollegen. Wer aus der Anonymität der Masse heraustritt, in der Presse zitiert und gesellschaftlich gelobt wird, hat es in hierarchischen Systemen wie den Amtsstuben von Polizei und Justiz besonders schwer.

 

Aus „Jugend braucht Zukunft – Was wird 1996?“

 

Was tun? ABM ‚ja‘ – Zuwendung ‚nein‘.

Die Sportjugend Berlin entschloss sich 1990, das Lazai-Projekt zu unterstützen und beantragte zwei aus ABM-Mitteln finanzierte Stellen für Sozialpädagogen. So konnten Achim und ich im März 1991 das neue Projekt und die Projektmitarbeiter Angelika Hübner und Ulrich Körner der Presse vorstellen. Nach dem Fan-Projekt und dem noch von der letzten DDR-Regierung auf den Weg gebrachten Projekt „Sport und Jugendsozialarbeit gegen Gewalt“ in Lichtenberg (SJC) war damit eine dritte Säule gegen Gewalt und für Integration errichtet. Bei der gerade abgeschlossenen Kampagne „SPORTverein(t)“ hatte der Regierende Bürgermeister 1992 dazu die richtige Devise ausgegeben: Runter von der Straße – rein in den Sportverein! Als Anlauf- und Beratungsstelle für das neue Projekt wurden erst einmal bestehende Einrichtungen im Bereich der Polizeidirektion 5 in Tempelhof, Kreuzberg und Neukölln ausgewählt, so das Sportjugendheim Markgrafenstraße, der SportJugendClub am Kottbusser Tor und das Jugendfreizeitheim am Dammweg in Neukölln. Es wurde dann durch das Jugendfreizeitheim in Britz-Süd abgelöst (ich hatte es 1965 als Bezirksjugendringvorsitzender selbst mit eingeweiht).
Ende 1992 lief die Förderung der beiden ABM-Stellen aus und weder Sportverwaltung, noch Jugendverwaltung einschließlich Jugendgerichtshilfe waren bereit, die begonnene Kooperation von Sportjugend und Polizei weiter zu fördern. Dass es kein Waterloo wurde, lag an den gesellschaftlichen Umständen. Mit einem in der Not vereinten Kampf der Bundesregierung und der Länder gegen Gewalt und Fremdenhass beschloss das Abgeordnetenhaus von Berlin ein Antigewaltprogramm „Jugend mit Zukunft – Berlin gegen Gewalt“. Von 1993 bis 1995 standen dafür 300 Millionen DM zur Verfügung. Es war ein Glücksfall, dass die Sportjugend ein großes Paket ihrer Wünsche für den ‚Aufbau Ost‘ vorbereitet hatte und fertig aus der Schublade zog. Neben der Gründung von SportJugendClubs, Mädchensportzentren und mehreren mobilen Teams gehörte nun auch das Projekt mit der Polizei dazu. Parteiübergreifend erhielten die Sportjugendkonzepte Unterstützung durch die Senatoren Thomas Krüger (Jugend) und Jürgen Klemann (Schule und Sport) und zum Erstaunen der Abgeordneten auch durch den Innensenator Prof. Dr. Dieter Heckelmann. Letzterer entschied sich für das Präventionskonzept mit den Sportvereinen und übernahm damit die Förderung von ‚Kick – Sport gegen Jugenddelinquenz‘, wie wir es jetzt nannten. Die Projektbetreuung von Kick lag in den ersten Jahren bei Bärbel Kümmel, unsere Jugendsekretärin, und Manuela Stein. Schlüsselfunktionen in der Verwaltung hatten die Polizeidirektoren Hübner und Lengwenings, die für die Verbindungen zwischen dem Innensenator und dem Polizeipräsidenten verantwortlich waren. Die Genannten haben vieles möglich gemacht und das Projekt hervorragend unterstützt.

 

1993 ging es richtig los

Mit zwei Stützpunkten und einem Team von sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurde 1993 begonnen. Thomas Martens übernahm die Projektleitung, die Sportjugend und der LSB waren Arbeitgeber. Die Arbeit konnte ausgeweitet werden und immer mehr Sportvereine wurden gefunden, die auffällige Jugendliche oder von der Polizei gemeldete Delinquenten in ihre Mannschaften und Gruppen aufnahmen. Eigene Angebote der Standorte, von der persönlichen Beratung, über Sport- und Freizeitturniere bis zu Jugendbegegnungen im Ausland gehörten dazu. Auch eine wissenschaftliche Begleitung wurde verwirklicht. 1994 wurde der SJC Marzahn am Rebhuhnweg als Jugendzentrum von Kick durch Staatssekretär Dr. Armin Jäger eingeweiht.
Alle Alarmglocken schrillten, als der Senat die Absicht hatte, das Programm ‚Jugend mit Zukunft‘ ein Jahr früher als vorgesehen zu beenden und schrittweise abzuwickeln. Im Verein mit den im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien wurde erst einmal ein Bestandsschutz der an Personal und Immobilien gebundenen Projekte erwirkt. Mit einer Demonstration von mehr als 1.000 Kindern und Jugendlichen begannen am 7. März 1996 die Protestaktionen gegen die Abwicklung von ‚Jugend mit Zukunft‘. Gespräche und Anhörungen im Abgeordnetenhaus, Pressekonferenzen unter dem Motto „Jugend braucht Zukunft!“ und zum Teil bundesweit ausgestrahlte Fernsehberichte folgten. Der größte Teil der bisherigen Sportjugendprojekte konnte schließlich gerettet werden. Darunter auch Kick.

Projektdokumentation 1993 und 1998 (Archiv LSB Berlin)

 

Der „VSJ“ übernimmt

Als neue Finanzquelle erkor der Senat 1996 die DKLB-Stiftung, die damit erstmals staatliche Pflichtaufgaben – die Jugendarbeit und Jugendhilfe nach dem Sozialgesetzbuch darstellen – aus Lotterieerlösen finanzierte. Die Mittel erreichten nicht die bisherigen Zuwendungen, so dass Eigeninitiativen bei der Einwerbung neuer Mittel gefragt waren und der Personalschlüssel reduziert werden musste.
Die Sportjugend hatte vorausschauend und mit Blick auf die große Palette ihrer eigentlichen Kernaufgaben im vereinten Berlin entschieden, einen eigenen Trägerverein für die Integrations- und Sozialprojekte zu gründen. Die Unwägbarkeiten der Landes- und Bezirkspolitik, der Verwaltungsaufwand und die Risiken eines nicht verbindlich abgesicherten 10-Millionen-Etats mit Verpflichtungen gegenüber bis zu 80 auf Zeit angestellten Mitarbeitern machten eine Auslagerung notwendig. Der „Verein für Sport und Jugendsozialarbeit (VSJ)“ wurde ab 1996 Projektträger, die juristische Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe und des Sports wurde vom Senat in kürzester Zeit abgeschlossen, der VSJ wurde LSB-Mitgliedsorganisation. Der neue Verein übernahm die bisher aus ‚Jugend mit Zukunft‘ geförderten Projekte, während der DTK, der SJC Lichtenberg (AGAG-Programm der Bundesregierung), der SJC Kreuzberg, das Fan-Projekt und das Aussiedlerprojekt bei der Sportjugend verblieben. Weitere Standorte von Kick konnten in Wedding, Tiergarten und Treptow eröffnet werden.
Kick bekam direkte Unterstützung durch den neuen Innensenator Jörg Schönbohm, dem das Projekt am Herzen lag und der auch aktiv beim ‚Mitternachts-Basketball‘ antrat. Er warb immer wieder Spenden ein, führte Benefizveranstaltungen durch und sammelte Geld für Kick bei seinen Geburtstagsgästen zum Sechzigsten. Unvergessen auch sein Kontakt zum deutsch-französischen Politologen und Friedenspreisträger Prof. Alfred Grosser, der in Marzahn mit den Jugendlichen diskutierte und später beim Zehnjährigen Ehrengast war. Der Innensenator verlieh Achim Lazai, der 1998 in den Ruhestand trat, das Bundesverdienstkreuz. Zwei Jahre zuvor hatte die Sportjugend Jörg Schönbohm und Achim Lazai mit der Zeus-Medaille ausgezeichnet. Als Jörg Schönbohm als Innenminister nach Brandenburg ging folgte prompt die erste Kick-Gründung in Eberswalde. Kick hatte sich erfolgreich etabliert, was auch Dr. Eckart Werthebach als neuer Innensenator anerkannte und unterstützte. Er nahm das Vorbild seines Vorgängers auf und vermittelte den im Projekt betreuten Jugendlichen Praktikums- und Ausbildungsplätze. Durch Publikationen, Tagungen und Fernsehberichte war Kick inzwischen bundesweit bekannt. 1999 besuchte Bundesinnenminister Otto Schily Kick im SJC in der Kollwitzstraße. Der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Böger übergab dabei eine Spende. Auch die Drogenliga sammelte für Kick. In der Fernsehschau „Ein Herz für Kinder“ konnte Achim Lazai das Projekt einem Millionenpublikum vorstellen und kehrte mit einem VW Van nach Berlin zurück. Wer hätte je gedacht, dass ein Kooperationsprojekt mit der Polizei auf so großen gesellschaftlichen Konsens stoßen würde, nachdem in den achtziger Jahren ähnliche Vorhaben der Sportjugend auf Flugblättern als „Bullenspitzelprojekte“ verteufelt wurden? Eine 1999 in der Bildungsstätte der Sportjugend veranstaltete bundesweite Fachtagung zur Zusammenarbeit zwischen Polizei und Jugendhilfe trug den Titel „Sport statt Strafe!?“ und erinnerte mit dem Fragezeichen an die Diskussionen des letzten Jahrzehnts.

 

Jugendarbeit braucht Empathie

Kurz vor meinem beruflichen Wechsel zum Landessportbund verfügte Kick über Standorte in allen sieben Berliner Polizeidirektionen. Dazu ein erfahrenes Mitarbeiterteam. Vergessen sind die schrecklichen Tage kurz vor Jahresende, wenn keine Bewilligungsbescheide für das Folgejahr vorlagen und Boten bereitstanden, den auf Zeit angestellten Mitarbeitern eine Arbeitsaufnahme am Tag nach Neujahr zu verbieten. Einmal musste Staatssekretär Klaus Löhe seinen Amtskollegen bei Finanzen, Werner Heubaum, ans Faxgerät bitten, um mir gegenüber eine verbindliche Erklärung über die Weiterförderung der Projekte abzugeben. Das war einen Tag vor Sylvester, die LSB-Personalabteilung konnte die Arbeitsverbote stornieren. Irgendwann gelang es dann auch, von den unsäglichen Zeit- und Kettenarbeitsverträgen wegzukommen. Dieses Kämpfen und Durchhalten war ich Achim Lazai schuldig, der bis zu seinem Tod 2005 viel Herzblut in Kick eingebracht hat. Er hat mich angespornt, eine gute Sache bis zuletzt zu verteidigen, nicht aufzugeben und niemals locker zu lassen. Diese Empathie wünsche ich Kick, seinen Mitarbeitern und Förderern auch weiterhin.

 

Erstveröffentlichung in „25 Jahre Kick – Sport gegen Jugenddelinquenz“ 2018

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