Mehr als eine Provinzposse: Die Umbenennung des „Jahn-Sportparks“ in Berlin

Die Umbenennung des „Friedrich-Ludwig-Jahn Sportparks“ in Berlin-Pankow ist noch nicht vom Tisch.

Nach dem Olympiapark in Charlottenburg und dem Sportforum Hohenschönhausen gehört der „Friedrich-Ludwig-Jahn Sportpark“ in Prenzlauer Berg zu den größten Sportstätten Berlins. In den nächsten fünf Jahren soll er für den Breiten- und Spitzensport ertüchtigt und zu einem Zentrum der Paraolympischen und Inklusionssportarten ausgebaut werden. Ein ehrgeiziges Vorhaben.

                                                                                                       Logo des Jahn-Sportparks.

(Foto: SenInnSport)

Nun gibt es Streit um den Namen „Friedrich Ludwig Jahn“: Das Bezirksamt Pankow hat den Senat von Berlin aufgefordert, eine Umbenennung des zukünftigen Sportparks zu prüfen. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport hat das nach einer „Kleinen Anfrage“ im Abgeordnetenhaus abgelehnt und dem Bezirk die „rote Karte“ gezeigt. Der Bezirk macht weiterhin Front gegen Jahn, eine Umbenennung ist damit noch nicht vom Tisch.

Wenn man über diese Bilderstürmerei nachdenkt, kommt einem der Prolog des 2014 erschienenen biografischen Romans des Berliner Erfolgsautors und Soziologieprofessors Horst Bosetzky „Turnvater Jahn“ in Erinnerung: Die große, derbe Gestalt des Turnvaters verlässt ihr Denkmal in der Neuköllner Hasenheide und tritt in gespenstiger Szene seinen Anhängern und Gegnern aus zwei Jahrhunderten gegenüber. Der Chor der Jahn-Freunde erscheint in klassisch weißer Turnkleidung, der der Gegner ist „so gekleidet als komme er gerade von einer Demonstration der Linken zum 1. Mai“. Beide Chöre singen Lieder vergangener Zeiten und rezitieren markige Sprüche Jahns, die dieser als junger Revolutionär und Freiheitskämpfer, als von der Obrigkeit Gefangener und Verbannter, schließlich als verbitterter „Alter im Barte“ im Parlament der Paulskirche oder in seinen frühen Schriften „Deutsches Volkstum“ und „Die deutsche Turnkunst“ der Welt übermittelt hat. Dem Pfarrersohn Jahn kommt es vor, als würden sie „Hosianna“ oder „Kreuzigt ihn“ rufen. Er muss sich ganz schön zur Wehr setzen. Bosetzky zeichnet das Bild eines „ebenso widersprüchlichen wie faszinierenden Mannes, der an einen deutschen Nationalstaat glaubte und die Turnbewegung gründete“. Jahn war zu Lebzeiten und ist bis in unsere Zeit eine umstrittene Persönlichkeit. Wechselnde Regierungen, Parteien und Ideologien bedienten sich je nach politischer Weltanschauung seiner. Ganz besonders die völkischen Turner Österreichs und dann die Nationalsozialisten. Letzte stellten Jahn in eine Reihe mit Luther, Bismarck und Hitler. Doch nun zum Jahn-Sportpark im Norden des vereinten Berlins.

Der „Jahn-Sportpark“ in Pankow

Am 15. Oktober 1952 wurde im ostberliner Stadtteil Prenzlauer Berg der dort 1951 im „Nationalen Aufbauwerk“ errichtete Sportpark feierlich auf den Namen „Friedrich-Ludwig-Jahn Sportpark“ geweiht. Das passierte am 100. Todestag des Turnvaters, der damals in Ost und West nicht gemeinsam, aber getrennt je nach politischer Ausrichtung gefeiert wurde. Für die DDR und deren russische Klassenbrüder war Jahn ein Freiheitskämpfer gegen Napoleon. Russland zeichnete ihn dafür mit dem Wladimir-Orden aus. Als Begründer des „vaterländischen Turnens“ wurde er von der DDR hoch geehrt, auch wenn sein Bestreben zur „Deutschen Einheit“ später nicht mehr herausgestellt wurde. In Zeiten des Kalten Krieges gab es Jahn zweimal, im Osten und im Westen. Ihn nach der friedlichen Revolution von 1989 zu vereinen, ist eine noch nicht gelöste Aufgabe der Sportgeschichte. Auch hat sich bis heute kein Historiker an Jahn herangewagt und seine Biografie geschrieben.

Der Jahn-Sportpark war eine der ersten, neu errichteten Sportstätten in der „Hauptstadt der DDR“. Auf dem ehemaligen Exerzierplatz „Einsame Pappel“ hatte zur Kaiserzeit der im Nachbarbezirk Wedding beheimatete Verein Hertha BSC bis zum Bau seines eigenen Sportplatzes trainiert. Zum 22 Hektar umfassenden Sportpark gehörten an der Cantianstraße ein Stadion für Fußball und Leichtathletik mit bis zu 30.000 Zuschauern. Dazu kamen ein Trainingsstadion und diverse Nebenplätze mit Funktionsgebäuden. Walter Ulbricht verkündete dort beim ersten „Volkssporttag der DDR“ das Motto „Jedermann an jedem Ort – einmal in der Woche Sport“. Traditionelle Sportevents wie der Olympische Tag der Leichtathletik, Meisterschaften, Massenveranstaltungen zu den Weltfestspielen der Jugend, Aufmärsche der FDJ und Pionierorganisation wurden neben den Länderspielen, Oberliga- und Pokalspielen im Fußball im Jahn-Sportpark ausgetragen. Zur 750-Jahrfeier Berlins gab es 1987 eine Generalrenovierung des Stadions mit bunten Sitzplatzreihen, Flutlichtanlage und einer langgestreckten überdachten Tribüne am Westrand. Die „Mielke-Tribüne“ sollte den Blickkontakt der Stadionbesucher nach West-Berlin und die unmittelbar hinter dem Stadion verlaufenden Grenzanlagen vermeiden (heute Mauerpark). Bis zum Jahr 1992 hatte im Jahn-Sportpark das „Sporthistorische Kabinett der DDR“ und spätere „Sportmuseum Berlin“ seine Ausstellungsräume. Nach der Wende traten im Stadion die Fußballer des BFC Dynamo an, während Hertha BSC im Olympiastadion und der 1. FC Union im Stadion „An der Försterei“ in Köpenick spielten. 1996 wurde nördlich des Stadions die „Max-Schmeling-Sporthalle“ als Multifunktions- und Eventhalle für nicht nach Berlin vergebene „Olympische Spiele 2000“ eröffnet.

Luftaufnahme des Jahn-Sportparks aus dem Jahr 1988. Links im Bild sind die Grenzschutzanlagen zum Bezirk Wedding von Berlin (West) zu erkennen.

(Foto: BStU/stasi-mediathek)

Bis zum Jahre 2023 soll nun nach dem Willen des Senats und des Bezirks Pankow der Jahn-Sportpark Zentrum für den Inklusionssport werden. Dazu wird ein neues Stadion für Fußball und Leichtathletik nebst Mehrfeldhallen und Plätzen für Tennis, Basketball und Hockey errichtet. Ein Bauvorhaben von bisher veranschlagten 170 Millionen Euro.

Jahn entzweit Senat und Bezirk

Im Juni 2018 überraschte der Bezirk Pankow mit der an den Senat von Berlin gerichteten Forderung, eine Umbenennung des Jahn-Sportparks zu prüfen. Antragsteller war die Linksfraktion des Bezirks. Begründung: „Die Benennung von Sportstätten nach dem Turnvater und bekennenden Antisemiten Friedrich Ludwig Jahn wird inzwischen allgemein kritisch beurteilt“, so der mehrheitlich gefasste Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung.

An dem Beschluss ist alles falsch, weder war Jahn bekennender Antisemit, noch wird er allgemein kritisch beurteilt. Namhafte Wissenschaftler haben seit dem Internationalen Jahn-Symposium von 1978 den Vorwurf des Antisemitismus zurückgewiesen. Zuletzt 2015 im Handbuch des renommierten Instituts für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Hier wurde Jahn als Antisemit verneint, wenn auch als kein Judenfreund beschrieben. Dieses milde Urteil über den Turnvater steht im Gegensatz zum aggressiven Judenhass von Martin Luther und Karl Marx, der bei den letztjährigen Jubiläumsausstellungen und Tagungen nicht verschwiegen, aber als zeitbedingt kleingeredet wurde. Gerd Steins, seit 40 Jahren als „Kriminalist der Turngeschichte“ mit Jahn befasst, hat in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ unter dem Titel „Jahn war kein Antisemit“ die wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammengefasst und kommentiert. Auch der vom Bezirk nachgeschobene Grund, dass „Jahns Nationalismus nicht zu einem Inklusions-Sportpark passe“, ist populistisch. Jahns Wirken auf dem Turnplatz in der Hasenheide hat bekanntlich nicht nur zum Vereinssport geführt, sondern auch die heutige soziale Offensive des Sports, also Integration und Inklusion, an vielen Beispielen auf den Weg gebracht. Zu Jahns Zeiten gab es übrigens weder den Begriff Antisemitismus noch einen deutschen Nationalstaat.

In einer Blitzumfrage der im Axel Springer Verlag erscheinenden größten Lokalzeitung „BZ“ vom Juli sprachen sich 92 Prozent der Leserschaft per Internet für eine Beibehaltung des Namens Jahn-Sportpark aus.

Zwei frühere Regierende Bürgermeister von Berlin haben sich auf die Frage „Ist es richtig, dem Jahn-Sportpark einen neuen Namen zu geben? – in Auszügen – so geäußert:

Eberhard Diepgen (Jurist) „Hinter den Vorwürfen gegen Jahn steht auch eine Geschichtsbetrachtung, die glaubt, vor 200 Jahren hätten die Menschen Erkenntnisse von Heute beachten müssen. Personen der Geschichte haben ihre Schattenseiten. Bemerkungen des Turnvaters über Juden gefallen uns allen nicht. Jahn machte sie aber auch nach Sicht von Historikern nicht zu einem aus seiner Zeit fallenden extremen Jugendhasser. Also lassen wir es beim Namen Jahn-Sportpark.“

Walter Momper (Historiker) „Nein, Turnvater Jahn ist der Begründer des Turnbewegung in Deutschland und man sollte ihn weiterhin ehren. Natürlich war Jahn kein glasklarer Demokrat. Er hat Napoleon und die Franzosen gehasst. Es gibt auch andere Persönlichkeiten, die antisemitisch waren und die wir wegen ihrer Leistungen trotzdem ehren – so wie Luther. Keine historische Persönlichkeit kann alle moralischen Ansprüche erfüllen. Da müssten wir alle, die vor unserer Demokratie gelebt haben, von den Straßenschildern abrasieren. Unser Ziel ist Aufklärung. Das bedeutet, dass man auch unliebsame Aussprüche historischer Persönlichkeiten ertragen muss. Man darf sie nur nicht verschweigen.“

Jahn hat 2013 Einzug in die Hall of Fame des Sports gefunden. Der Ehrenpräsident des Deutschen Turner-Bundes, Rainer Brechtken, hat im Juli 2017 am Rande des Internationalen Deutschen Turnfestes in der Hasenheide zum Abschluss seiner Rede zur Frage nach dem Verhältnis des Deutschen Turner-Bundes zu Jahn erklärt: „Kritischer Respekt und Dankbarkeit, aber keine naive Heldenverehrung . Wir, die Turnbewegung, müssen im Wissen um unsere Geschichte und unsere Fehler, auch als Teil der heutigen Gesellschaft die Zukunft gestalten.“ Die zu den Berliner Vorgängen in diesem Jahn-Report abgedruckte Erklärung des Deutschen Turner-Bundes spricht eine deutliche Sprache.

Pankow ohne Jahn?

Was passiert nun in Pankow? Der Senat von Berlin hat die vom Bezirk geforderte Umbenennung abgelehnt. Er hat diese mit dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der von Jahn begründeten demokratischen Werte des Vereinssports begründet. Der Bezirksbürgermeister von Pankow hat sich
weder mit der Antwort des Senats noch den negativen Reaktionen in der Presse zufrieden gegeben. Im Bezirksamt wird jetzt eine Namensgebung nach dem jüdischen Zeitungsverleger Rudolf Mosse erwogen. Eine inzwischen aufgelassene Straße durch das frühere Gelände trug einst diesen von den Nazis getilgten Namen. Durch den Bau des Stadions und mehrerer Hallen und Verbindungsstraßen besteht in den nächsten Jahren die Gelegenheit, weitere Persönlichkeiten der Bezirks- oder Sportgeschichte zu verewigen. Trotz dieser sich andeutenden Kompromissmöglichkeiten wird im größten Berliner Bezirk weiterhin Front gegen den Turnvater als Namensgeber der Gesamtanlage des Sportparks gemacht.

Dazu eine Vorgeschichte: 2014 hat der Bezirk eine von der Schulkonferenz der „Turnvater Jahn-Grundschule“ beschlossene Umbenennung in „Bötzow-Grundschule“ durchgewunken. Als Grund gab man an, „den Schülerinnen und Schülern könne die Person Jahns nicht mehr vermittelt werden“. Parteipolitisch gut vernetzte Investoren und Entwickler des kommerziellen „Bötzow-Quartiers“ hatten finanzielle Hilfen im Falle einer Namensänderung zugesagt. Der letzte Spross der in der NS-Zeit belasteten Brauereidynastie, Hermann Bötzow, hatte 1945 Selbstmord begangen. Der Name des Bierbrauers Bötzow ersetzt seitdem den des Turnvaters und Abgeordneten der ersten deutschen Nationalversammlung.

Auf ihrer Homepage stellt sich die Schule jetzt mit einem „sportorientierten Profil“ vor. Wie verhält sie sich zu dem von ihr entsorgten Turnvater, der in der Hasenheide den ersten pädagogisch betreuten Abenteuerspielplatz errichtete und Kinder und Jugendliche in Scharen anzog? Der 2013 entstandene Fernsehfilm „Turnvater Jahn – der Napoleonhasser“ vermittelt mit den Kommentaren der Professoren Hans-Joachim Bartmuß und Hans-Jürgen Schulke einen Blick auf die abenteuerliche und tragische Lebensgeschichte Jahns und kann auch schon Kindern im Grundschulalter vermittelt werden. Er ist gerade wieder im Fernsehen gesendet worden und müsste die Ohren aller Jahngegner in Berlin-Pankow zum Klingen und die Köpfe zum Nachdenken bringen.

Was zeigt der unerfreuliche Vorgang aus Pankow? Es muss über Jahn im bald seit 30 Jahren vereinten Deutschland nachgedacht werden. Große Zeitungsberichte, mehrere Dissertationen und Publikationen signalisieren öffentliches und wissenschaftliches Interesse am Turnvater. Das muss auch die Politik erkennen. Wie setzen wir Jahn als Ahnherrn der Turn- und Sportbewegung zukünftig in sein „Ehrenrecht“? Das ist für den deutschen Sport eine Aufgabe und Herausforderung. Dazu gehört auch das vom Deutschen Turner-Bund für 2019 angekündigte Jahn-Symposium, an dem neben den Historikern auch Wissenschaftler aus Politik, Sport, Journalismus, Kultur- und Sozialwissenschaften teilnehmen sollten. Und natürlich auch an der Zeitgeschichte interessierte Bürger, zum Beispiel die Mitglieder der Jahn-Gesellschaft und alle Berliner.


Erstveröffentlichung in „Jahn-Report“,

47. Ausgabe v. Dezember 2018.

Herausgeber: Jahn-Gesellschaft, Freyburg/Unstrut.

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