Erziehung zur Demokratie

SPORTGESCHICHTE(N)

Zum Schwerpunkt „Junges Engagement“

 

80 Jahre nach Auschwitz und dem Kriegsende diskutieren wir wieder über Antisemitismus und Demokratie. Die Potsdamer Konferenz der Alliierten hatte 1945 ein deutliches Zeichen gesetzt: Das Wissen um die Verbrechen der NS-Diktatur sowie eine demokratische Erziehung der Jugend sollten das Bildungswesen in Nachkriegsdeutschland prägen und zu einer breiten „Entnazifizierung“ und Re-Education führen. Die West-Alliierten sahen hier Demokratie als zukünftige Lebensform an, während die Sowjets nach ihrem Austritt aus dem Kontrollrat eine „Erziehung zu sozialistischen Persönlichkeiten“ präferierten.  In der Bundesrepublik regelt heute das „Sozialgesetzbuch VIII die Kinder- und Jugendhilfe“, in der DDR bestand ein „Jugendgesetz“ in Anlehnung an 1946 verabschiedete Grundsätze der Freien Deutschen Jugend.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vor 75 Jahren

Die Jugendarbeit war eine der vordringlichsten Aufgaben des 1949 gegründeten Sportverbandes Groß-Berlin. 1950 fanden die ersten Lehrgänge und Wochenenden im städtischen „Haus am Rupenhorn“ und dem Zehlendorfer „Wannseeheim für Jugendarbeit“ statt. Rupenhorn stand für das britische Modell der „Selbstorganisation“ der Jugend, das Wannseeheim für das amerikanische „Re-Education-Programm“ durch Erziehungsziele top down. Eingeladen hatte Landesjugendwart Gustav Schulze in Zusammenarbeit mit den inzwischen gegründeten Jugendausschüssen der Fachverbände und Großvereine. Im Vordergrund standen Ausbildungen zur Kinderbetreuung, fachspezifischen Konzepten des Kinder- und Jugendsports sowie zur Betreuung von Ferienfreizeiten und Zeltlagern sowie der politischen Bildung. Auch Kurse zur musisch-kulturellen Jugendarbeit und Treffen der neu gewählten Mädelwartinnen standen auf dem Programm. Kostenlose Verpflegung war ein zusätzliches Motiv für hungernde und arbeitslose junge Erwachsende, in den Sportvereinen Helfertätigkeiten anzunehmen und sich am Neuaufbau des Sports zu beteiligen. Das galt auch für die Mehrspartenvereine, die damals überwiegend dem Turnerbund angehörten, und für die 12- bis 16- Jährigen eigene Ausbildungen schufen und ihnen den Erwerb des Jungvorturnerabzeichens oder der Vorturner-Nadel anboten. Angebote für die Fußballjugend kamen in der Sportschule des damaligen VBB in Wannsee hinzu. Viele Chancen für junges Engagement.

Im sowjetischen Sektor Berlins wurden Sport und Jugendarbeit unterschiedlich organisiert. Beim Pfingsttreffen der FDJ 1950 und den Weltjugendfestspielen ein Jahr später in Ost-Berlin kamen Tausende in den Westteil, um sich die dortige Jugendarbeit und das Fenster zum Kapitalismus anzuschauen. Ein erstes Flüchtlingslager für Nicht-Zurückgekehrte wurde in Mariendorf errichtet und von den örtlichen Sportvereinen und Jugendbünden betreut. Der Kalte Krieg und der im Ostteil propagierte „sozialistische Mensch“ trennten die Stadt vierzig Jahre, ein Konzept das mit den westalliierten Erziehungsprogrammen zur Demokratie und Selbstbestimmung nicht vereinbar war.

 

Vor 50 Jahren

Mit einer eigenen Jugendbildungsstätte in Gatow ging die Sportjugend an den Start. Über die Seminarreihe „Zelten und Wandern“ wurden junge Erwachsene für den Erwerb des Jugendgruppenleiterausweises des Senats ausgebildet, sie konnten fortan Sportreisen und Ferienfahren verantwortlich leiten und bekamen Fahrpreisermäßigungen. Eine vom Senat während der Sommerferien im Olympiastadion – jeweils für 200 Jugendliche über 3 Wochen – angebotene Ausbildung zum Sporthelfer brachte der Vereinsjugendarbeit zusätzliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, eine „Sporthelfernadel“ war ihr sichtbares Zeichen. Neu war die Lizenz-Jugendleiterausbildung, die parallel zur Übungsleiterausbildung in der 1970 eröffneten Sportschule des LSB in Schöneberg stattfand. Durch die Trimm-Bewegung, den Ausbau der sportlichen Jugendsozialarbeit, des Gesundheitssports und der Zeitenwende im Spitzensport durch Aufnahme der Paralympics kamen neue Seminarformen, Berufe und Spezifikationen für unterschiedlichste Zielgruppen hinzu. Die heutige vielfältige Palette der Ausbildungen im Sport zeichnete sich ab, die Gründung eines „Veranstaltungsteams“ aus jungen Leuten wurde eine Erfolgsgeschichte. Durch den Jugendprotest der 68-ziger und siebziger Jahre wurde Sport „politischer“: So gab es nun eine Jugendvertretung, sprich Altersquotierung, in den Jugendausschüssen, einen Aufruf zu „Trimm Dich durch Mitbestimmung“ und die Wahl von Aktivensprechern im Spitzensport, Dr. Thomas Bach stellte sich in dieser Funktion dem LSB-Präsidium in Berlin vor. Ein breites Thema in Schöneberg und der Jugendbildungsstätte im Olympiapark.

 

Heute

Wenn wir jetzt ein Schwerpunktmagazin zum „Jungen Engagement“ herausgeben, so berichten wir über eine seit 1989/90 wieder-vereinte Stadt. Wer kann ermessen, was in diesen Jahren allein im Geiste der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz von 1945 an Aufbauarbeit, Wissensvermittlung und Weiterbildung im Sport zum Thema Demokratie vollbracht wurde? Aber auch, was uns politisch trennte? Ja, der Sport ist liebste Freizeitbetätigung jungen Menschen geblieben und politische Systeme in Ländern und Kommunen kommen ohne die Mitwirkung des Sports nicht mehr aus. Sportvereine sind Muster demokratischen Zusammenlebens für alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, genauso wie sie Zuflucht für diejenigen sind, die ausgegrenzt wurden und im Sport eine neue Heimat gefunden haben. Das sollten wir uns erhalten.

 

Erstveröffentlichung

in „Sport in Berlin“,

Heft 1 vom 1. März 2025

 

Langfassung

 

 

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