Neue Ideen für alte Vereine

 

 

 

Sparzwänge erleichtern Strukturveränderungen

 

Neue Ideen für den Sport und seine Vereinsstrukturen müssen her, damit sich die dramatische Finanzsituation nicht weiter wie Mehltau über unsere Stadt legt und den Sport mit erstickt.  Die eigentlichen Sparzwänge stehen den Sportvereinen und Verbänden nach dem Willen des Finanzsenators in den nächsten 2 Jahre noch bevor: Einsparungen bei gesetzlichen Leistungen, weiterer Abbau freiwilliger Leistungen, also Erhebung von Nutzungsentgelten für Sportstätten und womöglich Streichung der gesamten Sportförderung. Ein Rückfall in die Gründerjahre vieler unserer Vereine steht bevor. Unsere ‚alten’ Vereine mussten sich um 1900 ausschließlich aus Beiträgen und Spenden ihrer Mitglieder finanzieren. Diese Einnahmen ermöglichten den Sportbetrieb und den Bau eigener Sportstätten. War Geld übrig, konnten auch die in Berlin gebildeten Dachverbände mit unterstützt werden. Ohne Ehrenamt und Mäzenatentum ging es im Kaiserreich nicht. Sportstättengebühren waren auch in der Weimarer Republik die Regel. Der  Reichsausschuss für Leibesübungen erhob 1926 die Forderung: „ Gebühren für Turnhallen, Schwimmbahnen und Spielplätze sollen von denen erhoben werden, die draußen bleiben.“ Ein prägnanter Satz mit hoher Aktualität. Bis 1959 gehörten  Nutzungsentgelte und Duschgroschen für Sportstätten  auch im  Westteil Berlins zu den regelmäßigen Ausgaben der Vereine, ehe sich in Ost und West staatliche Wohltaten und Lotterien über den politisch prestigeträchtigen und gesellschaftlich wichtigen Sport ergossen. Im Zeitalter des Haushaltsnotstandes und sich ausbreitender kommerziellen Sportangebote für Besserverdienende soll damit jetzt Schluss sein, hat die Sportförderung als kommunale Daseinsvorsorge für Bürgerinnen und Bürger ausgedient? Es hat fast den Anschein, wenn einen Nachrichten aus Köln erreichen, dass dort durch den Wegfall öffentlicher Mittel 240 von 800 Sportvereinen vor dem finanziellen „Aus“ stehen. In der Hauptstadt gibt es (noch?) 2.000 Sportvereine.

 

 

 

Die von einigen Politikern neu entdeckten  ‚Spartugenden’ des vorherigen Jahrhunderts gefährden auch zunehmend den Sport, der bei passender Gelegenheit von politisch Inkompetenten gleich als „private Liebhaberei“ abqualifiziert wird.  Neben Protesten und Demonstrationen ist das Präsidium des Landessportbundes Berlin mit eigenen Sparvorschlägen in die Offensive gegangen. In den letzten Monaten wurden z.B. die Vorschläge des Wirtschaftsbeirates breit diskutiert, durch „Übernahme von Verantwortung“ öffentliche Sportstätten vor dem Verfall und der Schließung zu bewahren. Vereine  und Verbände wurden angehört, Workshops veranstaltet und Fragebogen an Groß- und Mittelvereine zur Selbstverwaltung ihrer Sportplätze versandt. Erstes Fazit: Ja, wir packen selbst an. 78 Vereine von 120 haben bereits geantwortet. 42  sind bereit, ihre Sportplätze künftig in Eigenregie zu hegen und zu pflegen und 9 wollen ihre Sportplätze kaufen. Die Mehrheit der Vereine erwartet als Gegenleistung vertraglich abgesicherte Betriebskostenzuschüsse ihrer Bezirksämter. Welche Verbindlichkeit und Laufzeit diese Zuschüsse haben, ist verständlicherweise immer die wichtigste Frage. Der Sportsenator unterstützt eine derartige „gemeinnützige Privatisierung“ und hat die Bezirke unter Hinweis auf den drohenden „Mittelentzug“ durch den Finanzsenator gebeten, die Kooperations- und Übernahmeangebote des Sports zu akzeptieren. Alle Beteiligten wissen, dass diese Entwicklung eine schwierige Gratwanderung für den freien und den öffentlichen Sport darstellt. Bei den Sportvereinen geht es um die Solidarität, wenn ein Verein für andere die Verantwortung mit übernimmt, und bei den Bezirken geht es um kommunalpolitische Macht, auf die ein Stückweit verzichtet werden muss. Das es selbst beim Zusammenleben Berlins mit seinen Bezirken juristische Streifragen geben kann, zeigt ein aktueller Fall. Da soll ein sportstatistisch ‚überversorgter’ Bezirk seine Sportplätze schließen (am besten verkaufen), während seine ‚unterversorgten’ Nachbarbezirke dringenden Bedarf an Sportplätzen angemeldet haben. Der Bürger fasst sich als Steuerzahler an den Kopf, dass ein Sportstättenausgleich über die Bezirksgrenzen hinaus nicht möglich sein soll. Für die Sporttreibenden und ihre Vereine kein Problem, aber scheinbar sind öffentliche Verwaltungen damit überfordert. Das Parlament sollte Einfluss nehmen.

 

 

 

Das für den Vereinssport neue Ideen auch durch ganz andere Entwicklungen ausgelöst werden, zeigt die von der Bundesregierung geplante Einrichtung von Ganztags-Grundschulen. Stolze 8 Milliarden Euro stehen für diese Förderung im Bundesetat zur Verfügung, 147 Millionen Euro gehen davon nach Berlin, das reicht für 30 Ganztagsschulen. Beginn des Programms: möglichst sofort. Die Berliner Sportvereine können also in Zukunft ihre jungen Vereinsmitglieder – und bekanntlich führen nur  Mitgliedschaften zu Einnahmen und späterer Ehrenamtlichkeit – da abholen, wo sie sich bis in die späten Nachmittagsstunden aufhalten werden, in den Schulen. Das neue Schulgesetz fördert ausdrücklich die Zusammenarbeit mit freien Trägern, was für Sportvereine bedeutet: Rein in die Schulen. Das gilt übrigens nicht nur für die neuen Ganztagsschulen, sondern für alle Schulen, auch die mit bereits obligatorischer oder geplanter ‚pädagogischer Nachmittagsbetreuung’. Fazit: Einem großen Teil unserer in Zukunft so vielseitig betreuten Schülerinnen und Schülern wird es schwer fallen, in ihrer verbleibenden Freizeit abends noch in den Sportverein zu gehen. Das sind Dimensionen und Chancen von existentieller Bedeutung für den Vereinssport (frei nach dem Werbeslogan: Entdecke Deine Möglichkeiten – Dein Verein kommt zu Dir). Ein schlechter werdender Gesundheitszustand der Kinder, so im jüngsten Gesundheitsbericht und der gerade veröffentlichten Wiad-Studie festgestellt (siehe Sportjugendseiten), fordert geradezu die Sportvereine heraus, ihre Angebote und Programme für die nachwachsende Generation auszuweiten. Reagiert der Vereinssport auf diese Herausforderung nicht, so treten kommerzielle Anbieter und Selbsthilfegruppen an seine Stelle.

 

 

 

Nun tut Sport nicht nur Kindern gut. Nach der jüngsten Sportstatistik ‚schwächelt’ der Vereinssport in den Altersgruppen der 30- bis 40-Jährigen, insbesondere bei den Frauen. Hier gehen die Zahlen zurück, weil die Konkurrenz nicht schläft. Für gestandene Vereinsfunktionäre ist es schon überraschend, in welchen Scharen  Frauen die kommerziellen Fitnessketten und neuen Wellnessclubs  frequentieren. Jeder kennt die Werbeanzeigen: Attraktive Angebote, moderne Übungsstätten,  Flexibilität in den Übungszeiten, oft rund um die Uhr, Schnäppchenpreise mit monatlichen Kündigungsfristen, als Draufgabe  fast vereinsähnliche Angebote, vom Grillabend bis zur Sportfreizeit. Können unsere ‚alten’ Vereine da überhaupt mithalten?  Es fehlen eigentlich nur noch spezielle Fitnessclubs für zahlungskräftige Senioren – die Werbewirtschaft spricht von den ‚jungen Alten’ – die auch diese bisherige Zielgruppe des Vereinssports vermarkten. Auch hier sind also eigene Konzepte gefragt.

 

 

 

Vollkommen neue Perspektiven für den Vereinssport eröffnen sich auch  durch die anstehenden Schulschließungen. In diesem Jahr stehen 20 Sporthallen (von insgesamt 25) mit zum Teil dazugehörenden Freiflächen für neue Nutzungen zur Verfügung. Und zwar für ganztägige Sportangebote in den Wohnquartieren. Nur wenige dieser Sportstätten eignen sich für die Einrichtung eines vereinseigenen Fitnessstudios, aber auf jeden Fall  für von der Bevölkerung immer stärker nachgefragte Programme des Freizeit- und Gesundheitssports für Vorschulkinder, Schüler und Jugendliche, Männer und Frauen, Familien und Senioren. In anderen Bundesländern gibt es diese Ganztagsangebote in Kooperation mit Sportvereinen schon lange. Der Landessportbund Berlin ist bereit, beim Aufbau derartiger „Sport-Gesundheits-Zentren“ konzeptionell und finanziell Hilfestellung zu geben. Ob dafür die Krankenkassen mit ins Boot genommen werden können, wird sich schon bei den in Kürze beginnenden Diskussionen um das für nächstes Jahr geplante „Präventionsgesetz“ zeigen. Auf jeden Fall passen sie in das bundesweite ‚Gesunde-Städte-Netzwerk’, dem Berlin voriges Jahr beigetreten ist. Um welche Sportstätten es sich handelt, können interessierte Vereine in dieser SiB-Ausgabe nachlesen.

 

 

 

Mit den geschilderten Entwicklungen steht der Vereinssport vor neuen Aufgaben und Strukturen. Viele kleinere Vereine werden weiter das tun, was sie bisher kompetent und zur Zufriedenheit ihrer Mitglieder ohne große öffentliche Unterstützung immer getan haben. Gut so. Aber es wird auch Vereine geben, denen die finanzielle Unterstützung für bisherige Sportprogramme weg brechen wird und die sich deshalb rechtzeitig neuen Ideen öffnen sollten. Sie nutzen die Chance, ihr bisheriges Vereinsleben umzukrempeln und ein neues Kapitel in ihrer Vereinsgeschichte zu beginnen.  Das möglichst viele Vereine, alte und junge, diesen neuen Markt des Sports für sich entdecken sollten, ist Wunsch und Bitte des Landessportbundes, ist ein Stück Zukunftssicherung jedes einzelnen Vereins. Die Sportvereine sollen auch zukünftig Hauptträger des Sports in unserer Stadt bleiben, dafür müssen sie und wir alle etwas tun. Sportvereine verkörpern bürgerschaftliches Engagement und sind allemal ein Gewinn für unsere Stadt und das Gemeinwesen. Davon sind zumindest wir überzeugt.

 

 

 

Kommentare sind geschlossen.