Sportgeschichte(n) aus Sport in Berlin: ZUM SPORT IST NIEMAND ZU ALT.

Sport für Ältere, was für ein tolles Thema, wenn man selbst betroffen ist und befangen in die Archive hinabsteigt. Das Sport nicht nur etwas für die Jugend ist, sondern auch auf Ältere wirkt, wussten schon die Inder und Chinesen zweitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung. Seitdem gibt es die ersten Zeichnungen von sporttreibenden Männern und Frauen sowie Aussagen über den Gesundheitswert der Gymnastik. Das setzte sich bei den Ägyptern, Griechen und Römern fort, vorwiegend praktiziert von Ärzten: Hippokrates verschrieb Gehen, Laufen, Reiten und Ringen als tägliche Leibesübung.  Claudius Galenos beschrieb als Erster das „Spielen mit dem kleinen Ball“. Er verband das auch mit dem Rat, die körperlichen Übungen nicht zu übertreiben und diese „mit Mäßigung“ auszuführen. Mehr an zuverlässigen Informationen gibt es bei ChatGPT, ich möchte deshalb den Blick auf unsere Stadt richten, der bei der KI noch nicht so präsent ist.

 

Auch in Spreeathen standen im 18. und 19. Jahrhundert die Mediziner in der ersten Reihe. Der in Berlin als Charité-Direktor tätige Christoph Hufeland widmete sich in seinen Schriften den Körperübungen für Ältere und beeinflusste die Pädagogen GutsMuths und Jahn beim Aufbau ihrer Turnplätze. Der Leipziger Arzt Martin Schreber, Erfinder der bei Großstädtern beliebten „Schrebergärten“, veröffentlichte einen in Berlin vertriebenen Bestseller „Ärztliche Zimmergymnastik“ und benutzte Hilfsgeräte wie Hanteln, Stäbe und Keulen, gleichberechtigt für Männer und Frauen.  Der weit über Berlin hinaus bekannte Arzt und Politiker Rudolf Virchow widmete sich dem Thema der Verbindung von Bewegung und Ernährung, heute eine Kernaufgabe unserer Kindergartengesellschaft „Kinder in Bewegung“, die 2006 durch eine Krankenkasse (s.u.) neu entdeckt wurde. Berlin war seit 1900 Wirkungsstätte der ersten Hygieniker, sprich Sportmediziner, so der Professoren Schmidt, Hueppe und Mallwitz. Ihnen stellten sich in den zwanziger Jahren die Gründungsrektoren der Berliner Hochschule für Leibesübungen an die Seite, die weltweit bekannten Chirurgen August Bier und Ferdinand Sauerbruch.

Nach dem Krieg trat an der Deutschen Sporthochschule in Köln ein heute noch international verehrter Mediziner an die Öffentlichkeit, Prof. Dr. Wildor Hollmann. Ein „Rockstar“ der Sportmedizin, dessen Vorlesungen sechs Jahrzehnte überlaufen waren und den wir als Gastredner an unserer Sportschule und zu den Turnfestakademien erlebten. Er war Herz- und Kreislaufspezialist und wies nach, dass Nerven und Zellen auch im Alter noch durch Sport regenerierbar sind, Hollmann starb mit 96 Jahren an Corona. Seine Berliner Partner waren die Kollegen Werner Ruhemann und Harald Mellerowicz, die im alten West-Berlin die sportärztlichen Beratungsstellen auf Landes- und Bezirksebene aufbauten und die Bevölkerung zu mehr Bewegung aufriefen. Sie plädierten für einen verbindlichen „Sport-Gesundheitspass“ beim Vereinseintritt.  Wildor Hollmann zur Seite stand Carl Diem, Ehrendoktor der Medizin und DSHS-Rektor, der 1957 beim Sportärztekongress den Festvortrag „Sport im Alter“ hielt. Er erklärte den Unterschied zwischen Trotting und Jogging, wobei letzteres natürlich anspruchsvoller und anstrengender sein musste. Auch Leistungssport im Alter wurde durch Hollman und Diem nicht ausgeschlossen. HollHIch denke da nicht nur an Skilaufen und Bergsteigen, sondern an unseren im Lichtenberger Sportjugendclub praktizierenden 83-jährigen Arzt Dr. Rolf Sperling, der bei den Jugendlichen als Vorbild gilt, nachdem er in Italien Seniorenweltmeister im Turmspringen wurde. Die älteste Wettkampfturnerin der Welt, die 98-jährige Johanna Quaas, habe ich schon einmal in „Sport in Berlin“ vorgestellt. Das „Laufen“ als Ausdauersport der Gesundheit von Senioren dient, verdanken wir Dr. Ernst van Aaken, der das Training über lange Strecken in Deutschland populär machte. Sein Buch trug die Aussage „Programmiert für 100 Jahre“ und öffnete dem Sport die Tür für die „Langlebigen“. Der 2021 mit dem Horst-Milde-Award ausgezeichnete Laufprofessor Dr. Alexander Weber tritt seit vielen Jahren in seine Fußstapfen.


„Demographische Alterung bedeutet aber auch, dass wir mehr aktive ältere Menschen haben als jemals zuvor. Zu dieser Entwicklung hat der Sport mit seinen gesundheits- und fitnessorientierten Angeboten nicht unerheblich beigetragen. Wir sollten deshalb auch versuchen, aus dieser wichtigen Gruppe unserer Gesellschaft mehr Menschen für sportliches und ehrenamtliches Engagement zu gewinnen. Dies wird aber nur gelingen, wenn wir der gewandelten Lebensplanung älterer Menschen, die von mehr Individualität und Spontaneität geprägt wird, Rechnung tragen.“

Dr. Thomas Bach bei der Gründung des Deutschen Olympischen Sportbundes am 20. Mai 2006.


 

Beim Thema darf ich zwei Sportpädagogen mit einem Faible für lebenslanges Sporttreiben nicht vergessen, Jürgen Palm und Klaus Schwanbeck.  Professor Palm, seit den siebziger Jahren weltweit bekannt als „Vater der Trimm-Bewegung“ und Gründer des Internationalen Breitensportverbandes TAFISA, stellte 2006 in Berlin ein neues Fitnessprogramm der Gmünder Ersatzkasse „Mach2 = Besser essen, mehr Bewegung“ vor, welches an den eingangs erwähnten Rudolf Virchow und unser KiB-Leitbild erinnerte. Dr. Schwanbeck war DLV-Trainer und hat als langjähriger Leiter unserer Sportschule in der Ärztekammer den Gesundheitssport und die Zusammenarbeit in der Prävention mit dem LSB Berlin durchgeboxt. In der Arztpraxis seiner Frau hat er Nordic-Walking als Gesundheitsvorsorge für Ältere neu entdeckt. Diese für Senioren besonders geeignete Sportart mit den zwei Stöcken wurde seine Berufung: Als Gründer des NordicPole-Walking und CEO des inzwischen weltweiten Fitnesskonzerns Nordixx machte er in Canada und den USA Karriere.

Jürgen Palm und Klaus Schwanbeck sind früh gestorben, ihr Rat und ihre motivierende Empathie fehlen uns. Mir ist das während der Pandemie bewusst geworden, als die Bundesregierung den Sport zur Bewegungslosigkeit verurteilte und entgegen früherer Sonntagsreden als „private Liebhaberei“ abqualifizierte. Palm und Schwanbeck hätten dem DOSB lautstark und kompetent Hilfestellung gegen die Sportverbote gegeben. Bekanntlich hat sich der Bundesgesundheitsminister inzwischen für das Verhalten der Regierung gegenüber dem Sport entschuldigt, was auch der Finanzminister bemerken müsste. Unser SiB-Thema „Sport für Ältere“ ist nicht nur historisch, sondern vor allem auch gesellschaftspolitisch aktuell: Sport ist mehr als nur eine „wichtige Nebensache“. Es bedarf keiner Einsamkeitsbeauftragten in den Kommunen solange es Sportvereine gibt. Einfach gesagt: Wer Sport treibt ist nicht einsam, lebt gesünder und auch glücklicher.  Das gilt auch für das Ehrenamt, dessen besonderer Anreiz für Ältere 2006 im Mittelpunkt der Gründung des DOSB stand, ein erst in Ansätzen erfüllter Auftrag unseres Dachverbandes. Über die Vorzüge des Vereinssports reimte schon der Dichter Joachim Ringelnatz in den zwanziger Jahren: „Sport stärkt Arme, Rumpf und Beine, kürzt die öde Zeit, und er schützt uns durch Vereine vor der Einsamkeit“. Den Schlusssatz seines Kollegen Kurt Tucholsky „In meinem Verein möcht‘ ich begraben sein“ teilen wir allerdings schon lange nicht mehr.

 

Langfassung

Kurzfassung in

„Sport in Berlin“ 06-2023

 

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