Zwei nicht beantwortete Schreiben an die Fraktionen in der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Neukölln bezüglich der von den „Grünen“ und den „Linken“ gestellten Anträgen.
Schreiben vom 14. Januar 2023 an die Fraktion der Grünen:
Sehr geehrte Damen und Herren,
fassungslos und mit Entrüstung habe ich von Ihrem Antrag an die BVV Neukölln erfahren, die Jahn-Sporthalle am Columbiadamm umzubenennen. Ihr Begründung, dass Jahn „ein extremer Nationalist, Rassist und Antisemit“ gewesen sei, entbehrt jedweder wissenschaftlichen Grundlage und ist ehrabschneidende Bilderstürmerei, also ideologischer Populismus. Wieso wenden Sie sich im Wahlkampf nicht den großen und lebenswichtigen Problemen unserer Stadt und des Bezirks zu und vergreifen sich an einer vor 200 Jahren aktiven Persönlichkeit, die international als Begründer der Vereinssportbewegung (immaterielles Weltkulturerbe) und als demokratisch gewählter Abgeordneter des Ersten Parlaments in der Frankfurter Paulskirche in die Geschichtsbücher eingegangen ist? Im historischen Kontext ist Friedrich Ludwig Jahn ohne Zweifel eine der widersprüchlichsten Personen der Zeitgeschichte, gelobt, verehrt, verdammt und verleumdet. Das können Sie auch im 2014 erschienenen biographischen Roman „Turnvater Jahn“ des Neuköllner Soziologieprofessors und Bestseller-Autors Horst Bosetzky nachlesen. Ich empfehle Ihnen da den Prolog vor dem Denkmal in der Hasenheide.
Ich bin 1941 in Neukölln geboren, seit 72 Jahren Mitglied des TuS Neukölln, und wurde 1969 vom Bezirksamt Neukölln für Verdienste im Sport und in der Jugendarbeit mit dem Bezirkswappen und der Ehrenurkunde ausgezeichnet. Ich kann mich gut daran erinnern, als im Juni 1961 die „Jahn-Sporthalle“ am Columbiadamm durch Bezirksbürgermeister Gerhard Lasson eingeweiht wurde. Sie wurde als eine der ersten Großsporthallen Berlins auf dem inzwischen städtischen Jahn-Sportplatz (früher Hindenburg-Sportplatz des TV Jahn 1865) errichtet. Anlässlich des Jubiläums „200 Jahre Turnbewegung – 200 Jahre soziale Verantwortung“ im Jahr 2011 hat das Museum Neukölln bei Karstadt am Hermannplatz eine vielbeachtete Ausstellung zur Hasenheide präsentiert und 2017 beim Internationalen Deutschen Turnfest hat Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey vor dem Jahn-Denkmal gesprochen und dessen Umgestaltung und die Aufstellung einer Gedenktafel gefeiert.
Das Jahn-Denkmal in der Hasenheide ist ein authentischer Ort unsere Geschichte und nicht nur für mich ein „Ankerpunkt“, sich mit jungen Menschen über Demokratie, Soziale Werte, Diversität und den flüchtigen „Zeitgeist“ im 21. Jahrhundert auseinanderzusetzen.
Mit freundlichen Grüßen, gez. Manfred Nippe
Schreiben vom 21. März 2023 an die Fraktionen der BVV Neukölln:
Sehr geehrte Damen und Herren,
anlässlich der am 22.3.23 stattfindenden Sitzung des Ausschusses für Grünflächen, Umweltschutz, Naturschutz und Klimaanpassung soll unter TO 5 über die Umgestaltung bzw. den Abriss des Jahn-Denkmals in der Hasenheide befunden werden. Die dazu angeführte Begründung „Mit Friedrich Jahn wird an herausragender Stelle im öffentlichen Raum ein Antisemit, Nationalist, Antidemokrat, Militarist und Antifeminist geehrt“ ist wissenschaftlich und politisch unhaltbar. Aktivisten/Aktivistinnen bedienen sich hier tradierter Narrative aus der NS-Zeit und völkischer Zuschreibungen aus dem 19. Jahrhundert in Österreich.
Der Präsident des Forums für Sportgeschichte, Herr Gerd Steins, eines Mitgliedsverbandes des Landessportbundes Berlin, hat ihren Fraktionen bereits im Januar dieses Jahres den 2022 erschienenen Band „Flegel, Sonderling und Turnvater. Vom Umgang mit Friedrich-Ludwig Jahn“ des wissenschaftlichen Symposiums von 2019 zugesandt, der derartigen negativen Zuschreibungen Jahns entgegentritt und sie als Fälschungen und Fake-News entlarvt. Dazu liegt ihnen auch ein Schreiben des TuS Neukölln 1865 vor.
Ich weise in diesem Zusammenhang auch auf die Politikerreden der Jahn-Feiern von 1952 (Ernst Reuter, Robert Lehr), 1961 (Willy Brandt, Ernst Lemmer), 2017 (Brigitte Zypries, Franziska Giffey) sowie die letzten wissenschaftlichen Veröffentlichungen von Bergmann, Bartmuss/Ulfkotte und Schulke hin, die auf die streitbare Person des Turnvaters im Laufe der Geschichte eingehen und dessen Verdienste um den Vereinssport und die internationale Sportbewegung hervorheben. Als gewählter Abgeordneter der Ersten Nationalversammlung von 1848 hat Friedrich-Ludwig Jahn sich für eine demokratische Verfassung, ein vom Staat unabhängiges Vereinsrecht und die Frauenemanzipation ausgesprochen. Das wird im April/Mai 2023 in der Frankfurter Paulskirche durch den Herrn Bundespräsidenten gewürdigt.
Es kann nur empfohlen werden, weiterhin den demokratischen Diskurs zu pflegen und auf parteiische Bilderstürmerei zu verzichten.
Mit freundlichen Grüßen, gez. Manfred Nippe